Mutmaßliche Polizeigewalt nach Derby:Ein Videobeweis verschwindet

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Seit über zwei Jahren wird nach Polizisten gesucht, die Fußballfans verprügelten - doch die entscheidenden Bilder sind weg. Jetzt fordert die Staatsanwaltschaft neue Ermittlungen.

S. Wimmer

Die Ermittlungen gegen Münchner USK-Polizisten, die angeblich auf Fans des TSV 1860 eingeprügelt haben sollen, könnten womöglich ein drittes Mal aufgerollt werden. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren bereits zwei mal eingestellt hat, fordert nun die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft Nacharbeit.

Nach dem Spiel der Amateurmannschaften von 1860 München und Bayern München berichteten Fans von Schlagstock-Attacken durch Polizisten. (Foto: Symbolfoto: ddp)

Seit zweieinhalb Jahren pochen ein Anwalt und seine Mandanten darauf, die Polizisten zu finden, die beim Amateurderby FC Bayern gegen 1860 München ohne ersichtlichen Grund mit Schlagstöcken auf Zuschauer eingeprügelt haben sollen. Nachdem sich der Fan-Anwalt über die Einstellungen der Ermittlungen beschwert hat, will die Generalstaatsanwaltschaft nun von den Ermittlern mehr über den Fall und seine Aufarbeitung wissen. Vor allem die Art, wie die Polizei mit von ihr selbst gedrehten Beweisvideos umging, scheint für die Generalstaatsanwaltschaft fragwürdig zu sein: Die entscheidenden Videosequenzen sind offenbar verschwunden.

Zur Beweissicherung schickt die Polizei bei diversen Einsätzen so genannte Videobeamte mit auf Einsatz. So auch beim Amateurderby am 9. Dezember 2007 im Grünwalder Stadion. Gegen Ende des Spiels verhängte die Polizei eine Blocksperre für die Löwen, um so zu verhindern, dass sich die rivalisierenden Fangruppen auf dem Heimweg in die Quere kommen. Als der Einsatzleiter die Sperre aufheben ließ, drängten die Fans nach draußen. Dort kamen ihnen laut Augenzeugen "laut schreiend schwarzgekleidete USK-Beamte entgegen"- Sie sollen mit Schlagstöcken wahllos auf die Leute eingeprügelt haben. Ein 39-jähriger Fan erlitt eine Platzwunde sowie eine Schädelprellung.

Schleppende Ermittlungen

Ein 35-Jähriger erzählt von einem USK-Beamten, der ihm im Vorbeilaufen einfach mit dem Schlagstock auf den Arm gedroschen habe. Ein anderer berichtet von einem USK-Beamten, der ihm grundlos Pfefferspray in die Augen gesprüht, ihn auf den Boden geworfen und mit Fußtritten zur Seite geschubst habe. Von Panik unter den Zuschauern angesichts der uniformierten Schläger ist die Rede. Günter Krause vom Fanprojekt der Stadt etwa war Augenzeuge und bestätigt die Schläge der USKler. Ebenso Herbert Schröger vom Verein "Löwen-Fans gegen Rechts": Er spricht von einem "regelrechten Gewaltausbruch der Polizei". So etwas habe er in seinen 37 Fanjahren noch nie erlebt.

Die Münchner Polizei scheint jedoch nicht in der Lage zu sein, Schläger in den eigenen Reihen ausfindig zu machen. Das liegt einerseits daran, dass die USK-Beamten weder Namens- noch Nummernschilder haben, schwarz gekleidet sind und einen Helm mit heruntergeklapptem Visier tragen. Von ihrem Gegenüber sind sie nicht zu identifizieren.

Zum anderen schleppen sich die Ermittlungen seit zweieinhalb Jahren dahin. Zunächst stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ein, mit der Begründung, dass die Beamten zwar zugeschlagen hätten, aber nicht zu identifizieren seien. Auf Beschwerde des Anwalts wird das Verfahren wieder aufgenommen und dann erneut eingestellt. Diesmal erklärt die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsbegründung, nicht nur die Zuschauer seien geschlagen worden, sondern auch Polizisten. Die Beamten hätten ihre Schlagstöcke zur Abwehr kreisend vor dem Körper geschwungen. Treffer seien da nicht zu vermeiden, heißt es weiter. Zielgerichtete Schläge auf Unbeteiligte konnten "gerade nicht individualisierbar nachgewiesen werden", so die Staatsanwaltschaft. Marco Noli, der Anwalt der Sechzger-Fans, legt daraufhin erneut Beschwerde gegen die Einstellung ein. Die Akten gehen an die Generalstaatsanwaltschaft. Und die hat jetzt der Staatsanwaltschaft und den Ermittlern neue Hausaufgaben aufgegeben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum bisher keiner der prügelnden Polizisten identifiziert wurde.

"Die Ermittlungen sind einfach lückenhaft", sagt der Anwalt Noli. Auch im Video, das die USK-Beamten bei dem Einsatz gedreht haben, fehlen entscheidende Sequenzen . Ein Beweissicherungsbeamter des USK begründet diese Lücken mit technischen Mängeln an der Ausrüstung: "Bereits in der Vorzeit kam es auch immer wieder zu Bild- und Tonausfällen während der Aufnahme"

"Auf den Videos ist deutlich zu sehen, wie USK-Beamte mit erhobenen Schlagstöcken auf Leute einschlagen", erklärt Noli. Das bestätigt auch die Staatsanwaltschaft. Allerdings schreibt sie nach der zweiten anwaltlichen Beschwerde, dass "aus dem Video keine konkret zuordenbaren Schläge (...) ausgemacht werden". Und es gebe aus Sicht der Staatsanwaltschaft keine erfolgversprechenden Möglichkeiten, an ergänzendes Videomaterial zu gelangen: "Auch die Vernehmung einzelner Videobeamter erscheint nicht geeignet, eventuelle konkret zurechenbare Tatabläufe und konkrete Beamte zu individualisieren."

"Eine Ungeheuerlichkeit"

Dass es für die Geschlagenen schwierig sein dürfte, einen Polizisten mit heruntergeklapptem Visier zu identifizieren, leuchtet ein. Dass ein USK-Beamter seinen Kollegen erkennen könnte, glaubt die Generalstaatsanwaltschaft. Sie hat die Ermittler beauftragt, die Beweissicherungsbeamten als Zeugen zu befragen. Dass es die Polizei bislang nicht für nötig erachtet hat, die Beamten zu befragen, die am Ort des Geschehens gefilmt hatten, ist für den Anwalt Noli eine "Ungeheuerlichkeit".

Ein weiteres Rätsel, das die Generalstaatsanwaltschaft gelöst haben will, sind die Lücken im Video. Was ist mit dem Originalfilmmaterial passiert? Warum wurde es geschnitten? Wo befinden sich die Originale zum Einsatz bei den Sechzgern? Und warum wurden die unvollständigen Beweismittel erst ein Jahr nach dem Einsatz an die ermittelnde Dienststelle überstellt? "Offenbar geht die Polizei mit Beweismitteln um, wie es ihr gerade passt", kritisiert Noli. Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, wird die Generalstaatsanwaltschaft entscheiden, ob sie die zweite Einstellung des Verfahrens billigt, oder ob die Ermittlungen ein drittes Mal aufgerollt werden.

© SZ vom 12.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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