Muslime und Juden in München:Kleine Schritte der Annäherung

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Begegnung zwischen Muslimen und Juden: Zwei Vorträge beleuchten das schwierige Verhältnis der Religionen.

Monika Maier-Albang

Beide Referenten waren schon lange angefragt und dann kommen sie ausgerechnet am selben Abend. So hatte, wer sich für den Islam interessiert, am Montag die Qual der Wahl zwischen Necla Kelek und Jakob Finci. Im Großen Sitzungssaal des Rathauses spricht der Jude Finci im Rahmen der Nymphenburger Gespräche; eingeladen haben ihn unter anderem Münchner Muslime von der Organisation Idizem und das Islamische Forum Penzberg.

In der Kultusgemeinde trat die Soziologin und Geschwister-Scholl-Preisträgerin Necla Kelek auf, die in ihrem Buch "Die fremde Braut" die Praxis von Zwangsehen anprangert. (Foto: Foto: Schellnegger)

Am St.-Jakobs-Platz beginnt eine Stunde später die Muslima Necla Kelek ihren Vortrag. Eingeladen ist sie vom Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde, der jüdischen Loge B'nai B‘rith und Rachel Salamanders Literaturhandlung. Einige Zuhörer wandern vom Rathaus, wo man früher beginnt, weiter an den St. Jakobs-Platz.

Die Terminüberschneidung ist eine zufällige, aber umso spannender, weil die Ausführungen der beiden Referenten nur schwer zusammenzubringen sind. Finci ist Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde in Sarajewo, seit kurzem Botschafter des Staates Bosnien-Herzegowina in der Schweiz, ein Versöhner, der für die Kooperation mit dem Islam wirbt. Kelek, in Istanbul geboren und in Deutschland aufgewachsen, Soziologin und Autorin des Buches "Die fremde Braut", ist eine sprachgewaltige Islamkritikerin.

Fesselnd kann sie erzählen, wie sie selbst als Mädchen am Fenster saß, um zuzusehen, wie die anderen Kinder draußen Fahrrad fahren durften. "Diese Art Freiheit ist nichts für uns", gab die Mutter dem quengelnden Mädchen zu verstehen. Freiheit, wie die Deutschen sie verstanden, habe der Mutter Angst gemacht, denn für sie bedeutete diese, "vogelfrei, schutzlos und den Männern ausgeliefert zu sein".

Kelek hat sich gelöst von den Traditionen des Elternhauses. Jetzt kämpft sie für die Rechte der muslimischen Frauen, fordert von der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft, sich dagegen zu wehren, wenn Mädchen im Kindergartenalter unter das Kopftuch gezwungen werden, und muslimische Frauen zu unterstützen, wenn sie es geschafft haben, sich die Freiheiten zu nehmen, die für nicht-muslimische Frauen selbstverständlich sind: sein eigenes Geld verdienen, sich den Partner selbst aussuchen können, Individuum sein und nicht "ein Sozialwesen, das sich der Gemeinschaft unterzuordnen hat".

Kelek ist eine Missionarin und bisweilen würde man sich etwas mehr Differenzierung wünschen. Eine Unterscheidung zwischen "türkisch" und "muslimisch" macht die Soziologin selten. Ihr sind "Islamfunktionäre" allesamt ein Gräuel, weil sie einen allen Aufklärungsversuchen abholden Islam konservierten. Kelek begreift den Islam als religiös-kulturelles System, in dem jedes kritische Hinterfragen Gotteslästerung ist, ein System, das sich nicht in die europäische Gesellschaftsordnung integrieren lasse.

"Im Wissen um den Anderen", so haben die Organisatoren die Vortragsreihe in der Kultusgemeinde genannt, die "Vorurteile und Fremdgefühle abbauen" helfen soll. Begonnen hatte man im März mit Ayaan Hirsi Ali, einer weiteren muslimischen Frauenrechtlerin und Islamkritikerin, am 16. Juni wird der in Deutschland lebende irakische Schriftsteller Najem Wali aus seinem Buch "Reise in das Herz des Feindes" lesen - eine Reise nach Israel, auf der Wali laut Ankündigung "Menschen begegnet, die eine gemeinsame Hoffnung nach Frieden und Dialog verbindet".

Dass Muslime in der Kultusgemeinde auftreten, ist neu, die Auswahl der bisherigen Referentinnen offenbar ein Versuch, sich dem Anderen zunächst aus der kritischen Distanz zu nähern. Ob die Strategie aufgeht, wird sich zeigen. Nach Necla Keleks Vortrag fragte sich so mancher Zuhörer, ob der Dialog mit "dem Islam" überhaupt Sinn macht.

Versöhnung statt Argwohn

Ein paar Meter entfernt spricht Jakob Finci über den Islam, wie er ihn kennt. Den bosnisch geprägten Islam. Über Muslime und Juden, die ihre Minderheitenstellung zusammenschweißt. Beide sähen sich konfrontiert mit Argwohn: Antisemitismus hier, Islamophobie dort.

Beide versuchten gemeinsam und im Verbund mit Katholiken und Orthodoxen zur Versöhnung beizutragen. Während des Balkankrieges hatte Finci eine Hilfsorganisation gegründet, die über die ethnischen und religiösen Grenzen hinweg tätig war. Nach Kriegsende gründete er den "Interreligiösen Rat" in Sarajewo mit, in dem sich die vier geistlichen Oberhäupter der Stadt regelmäßig treffen.

Eine vertrauensbildende Maßnahme in einem Land, in dem die Religion missbraucht worden sei, in dem aber auch Religionsführer "auf allen Seiten" den Missbrauch geduldet und unterstützt hätten. Ob das Modell aus Sarajewo auf Deutschland übertragbar ist, wird Finci gefragt. Da ist er skeptisch. In Bosnien habe man eine lange, gemeinsame Tradition. In Deutschland lebten Muslime aus vielen Herkunftsländern, aus unterschiedlichen Kulturkreisen. "Alles ist neu und fremd", für beide Seiten.

Was das restliche Europa aber lernen könne von seinem Land, sei die "Vielfalt in der Einheit" zu suchen. Sein Credo dabei heißt: "Ehre die Freiheit des anderen, wenn der andere deine Freiheit ehren soll".

© SZ vom 27.05.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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