Süddeutsche Zeitung

Musiktheater:Flatterhaftes Machtstreben

Vor 100 Jahren wurde Walter Braunfels' spätromantische Oper "Die Vögel" in München uraufgeführt. Nun inszeniert Frank Castorf das auf einem Drama von Aristophanes basierende Stück neu.

Von Rita Argauer

Es ist ein durchaus heiteres Moment, wenn sich Machtverhältnisse umkehren und plötzlich etwa die Vögel beschließen, den Göttern den Rang abzulaufen. Es hat aber in gleichem Maß auch etwas Beängstigendes, wenn abseitige Gruppen plötzlich nach der Macht greifen. 13 Jahre nach der Uraufführung von Walter Braunfels' "Die Vögel" löste sich der Schrecken dessen mit dem Beginn Nazi-Herrschaft in Deutschland ein. Doch auch 1920 schon, als Braunfels' Oper in München das erste Mal erklang, konnte der Komponist und Librettist nicht der ausschließlich heiter-satirischen Stimmung der antiken Dramen-Vorlage von Aristophanes folgen. Geprägt von den Erfahrungen im ersten Weltkrieg hat die Oper, die zu den bekanntesten Werken des Komponisten gehört, etwas Düsteres, bisweilen Melancholisches und Abgründiges. Musikalisch blickt Braunfels, in Melodik und Phrasierung tief der Romantik verpflichtet, sowieso eher in die Vergangenheit. Doch umweht das Werk auch der Schauder, dass sich hier ein Künstler als das Ende einer Strömung oder einer Idee betrachtet. Und genauso dräuend wirkt auch das Libretto, in dem die Vögel von zwei Menschen, Hoffegut und Ratefreund, angestachelt werden, nach Höherem, genauer nach der Macht der Götter, zu streben; und von Prometheus letztlich eindeutig in die Schranken gewiesen werden.

Nun, beinahe auf den Tag genau 100 Jahre nach der Uraufführung, die am 30. Oktober 1920 unter der Leitung von Bruno Walter stattfand, werden "Die Vögel" die erste wirkliche Opernpremiere der verflixten Virus-Saison an der Bayerischen Staatsoper. Inszeniert von Frank Castorf auf einer Drehbühne von Aleksandar Denić. Zusammen arbeiteten die beiden an der Bayerischen Staatsoper zuletzt bei "Aus einem Totenhaus" im Jahr 2018.

Ähnlich postmodern disparat, schrill und detailversessen dürfte die Bühne auch dieses Mal werden - Prometheus (Wolfgang Koch) sitzt auf einem Container, der sinnbildlich zur Büchse der Pandora wird. An einer Stelle gibt es Alfred Hitchcocks Konterfei, der mit Vögeln Filmgeschichte schrieb. Auch wenn die aus einem Roman von Daphne du Maurier stammen, haben sie doch zumindest eines mit denen des Aristophanes gemein: Das gefiederte Streben nach der Weltherrschaft.

Doch von der Weltuntergangsstimmung, die das alles in seiner Gesamtheit ausstrahlt, darf man sich nicht abschrecken lassen. Denn die Musik Braunfels', in München nun unter der Leitung von Ingo Metzmacher, ist auch zart, erhaben und schwelgend. Etwa wenn Hoffegut (Charles Workman) zu Beginn des zweiten Akts vom Gesang der Nachtigall (Caroline Wettergreen) verzaubert wird.

Die Vögel, Samstag, 31. Oktober, 18 Uhr (Premiere), Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2, Telefon 21851903, parallel im Live-Stream unter staatsoper.tv

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Quelle:
SZ vom 29.10.2020
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