Oper:Parcours der Erkenntnis

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Grandiose Momente mit Musik, Tanz und Gesang. Im Bild die Sopranistin Pia Davila. (Foto: Thomas Aurin)

Die Münchner Musiktheater-Biennale holt in einem Zwischenfestival jene Produktionen nach, die vor zwei Jahren dem Lockdown zum Opfer fielen.

Von Egbert Tholl, München

Es war eine durchaus abenteuerliche Situation, damals im Januar, vor der Deutschen Oper Berlin. Ein unternehmungslustiges Publikum stand vor dem zum Opernhaus gehörigen Restaurant herum, das Wetter war mies, die Stimmung gut. Kaum einer wusste, wozu man konkret gebeten sei, dann setzte wie aus dem Nichts eine Deklamation über den Anfang der Zeit ein, die Dirigentin Cordula Bürgi dirigierte, ohne dass jemand spielte, ein Chor, bestehend aus vier Damen und vier Herren, gekleidet, als kämen sie aus der Kurfürstendammtanzschulfernsehserie, schob sich an der Glasfront des Restaurants entlang, drinnen hing eine Dame im Frack über einer Stange, und ein Klavier wurde auf eine Art und Weise bedient, dass man Angst um den Fortbestand des Instruments haben musste.

Hätte die Münchner Musiktheater-Biennale im Mai 2020 stattgefunden, wäre "Once to be realised" die größte Produktion der Ausgabe des Festivals gewesen, die dann aber dem ersten Lockdown zum Opfer fiel. Seitdem gab es ein paar Versuche, die Aufführung herauszubringen, der vierte klappte dann. Nach Absage der Biennale 2020 versuchten deren Leiter, Manos Tsangaris und Daniel Ott, die einst für München geplanten Uraufführungen bis zur kommenden nächsten Ausgabe der Biennale im Mai dieses Jahres an den koproduzierenden Häusern herauszubringen. Einiges klappte, doch im Fall von "Once to be realised" wurde der Titel fast schon zum running gag, bis es dann doch realisiert werden konnte. Im Januar in Berlin, und nun in München, von 7. bis 10. März im Utopia.

Jani Christou hinterließ 130 Skizzen von Stücken, die noch auskomponiert werden sollten

Der Titel beschreibt natürlich nicht die Genese der Aufführung. Im Jahr 1970 starb der griechische Komponist Jani Christou bei einem Autounfall. Er hinterließ 130 Skizzen von Stücken, die noch auskomponiert werden sollten, bei ganz wenigen davon gelang ihm das noch selbst. Vor einigen Jahren nun regten Michail Marmarinos als Regisseur und Lenio Liatsou (Projektentwicklung) sechs Komponistinnen und Komponisten an, sich mit Christous Skizzen zu beschäftigen, sie mit der eigenen Musiksprache zu verbinden, sie weiter zu schreiben. Was Beat Furrer, Barblina Meierhans, Olga Neuwirth, Younghi Pagh-Paan, Samir Odeh-Tamini und Christian Wolff dann komponierten, ist sehr heterogen, sowohl in den Mitteln wie in der Form. Man hört die eigene Stimme der Komponierenden durch, findet aber auch Wege in den labyrinthischen Klang- und Denkkosmos Christous.

In Berlin war die Aufführung ein Parcours durch verschiedene Orte der Deutschen Oper, gespielt wurde erst ganz draußen, dann in einem Werkhof, in verschiedenen Foyers und schließlich in der Tischlerei, der Spielstätte der Deutschen Oper fürs Experimentelle. Man begegnete einer Phalanx von Bläsern mit Instrumenten, die wie selbstgebaute Mini-Alphörner anmuteten, man traf auf Robyn Schulkowsky, die selbstvergessen auf einer liegenden E-Gitarre herumklöppelte, man wurde mit einer antiken Tragödie konfrontiert, die herrlich wunderliche Tänzerin Sofia Pintzou irrlichterte durch den Raum, Pia Davila sang gleißende Vokalisen. Mal bewegte sich das Ensemble dissonArt, geleitet von der herrlichen Cordula Bürgi, im Raum, als befänden sich die Musikanten in einer Marthaler-Inszenierung, mal hatte man das Gefühl, in eine esoterisch wegdriftende Seance geraten zu sein.

Grandiose Momente wechselten sich mit großen Rätseln ab

Man hätte den Parcours, obwohl nicht gerade kurz und für Leute mit Bandscheibenproblemen nur bedingt geeignet, zwei-, dreimal machen wollen, um allem, was da drin steckt, gerecht werden zu können. Grandiose Momente wechselten sich mit großen Rätseln ab, am Ende allerdings gab es nichts zu deuteln: Beat Furrers "Akusmata I - VII" waren wundervoll präzise Klangerlebnisse in einer fragmentierten Sprache der Musik, unmittelbar wirkmächtig. Die Gesamtanlage des Abends erzählte auch viel über das Entstehen und Verschwinden von Musik, vom Über- und Falschhören, vom Verpassen und Hineintauchen. Man darf gespannt sein, wie die Produktionen im Utopia realisiert werden, denn dort hat man eigentlich nur einen, wenn auch sehr großen Raum zur Verfügung.

Das kleine Nachholfestival der Biennale beginnt bereits am Samstag, 5. März, mit dem "Lab of new return" um 18 Uhr im Schwere Reiter - einer Art Salon als Vorschau aufs Kommende, auf "Once to be realised" und "Opera und ihr Double", einer "operativen Installation", basierend auf Texten und Musik von Thomas Köck und Ole Hübner, die von 16. bis 19. März ebenfalls im Utopia in der Heßstraße zu sehen ist.

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