Süddeutsche Zeitung

Musik in München:Was die Stadt für Pop tun kann: Nicht so still, Freunde

Die Münchner lamentieren gerne darüber, warum aus dieser Stadt keine große Popmusik kommt. Aber die Frage ist falsch gestellt. Macht doch einfach!

Von Jens-Christian Rabe

Die Zukunft ist im Pop immer eine nostalgische Utopie, die irgendeinen Ort verklärt. Immer. Man weiß ja auch so verflucht viele fantastische Sachen von den utopischen Orten der Vergangenheit. Man wäre also gern mal bei etwas dabei, das so ist wie damals das New Yorker Greenwich Village Anfang der Sechzigerjahre, als dort ein Kerl namens Bob Dylan mit einer Akustikgitarre sein Glück suchte. Oder so wie etwas später das Swinging London. Oder so wie das Musicland-München von Disco-König Giorgio Moroder und Freddy Mercury in den Siebzigerjahren. Oder so oder so oder so.

Aber dann stellt man fest, dass man doch leider nur im München des Jahres 2018 ist, und wieder ist weit und breit keine Revolution in Sicht, schon gar nicht im Pop. Und man sitzt in äußerst mittelprächtiger Laune irgendwo am Tresen, in der Favorit Bar oder der Roten Sonne oder dem Harry Klein oder dem Feierwerk oder im Milla oder im Cucurucu oder so. Und bald kommt wieder die Frage auf, was hier eigentlich so los ist oder vielmehr: Ob denn auch mal wieder aus der Musikszene der Stadt heraus was entsteht, das auch jemanden interessiert, für den ein Isarbad mit einem Augustiner in der Hand noch nicht die Popkultur-Krönung schlechthin ist. Eine neue Bewegung zum Beispiel oder fürs Erste wenigstens ein neuer Popstar aus München?

Tja. Ach. Das typischerweise folgende Gerede über die zu hohen Mieten und Lebenskosten und den fatalen Proberaummangel und überhaupt den tödlichen Reichtum der Stadt, der die Subkulturen auffresse, weil die eben niemand pflegen könne, der sich tagsüber als Anwalt oder Unternehmensberater mit Mühe das örtliche Existenzminimum aufs Konto schaffen muss - dieses Gerede ist so etwas wie das ewige Grundrauschen des Kulturgesprächs der Stadt.

Ganz falsch ist es selbstverständlich auch nicht. Und trotzdem bleibt es ein öder und ziemlich provinzieller Refrain, der auch noch das Problem hat, dass er irgendwann immer die Forderung nach aktiverer, großzügigerer, besserer Kulturpolitik beinhaltet. Aber auf Kulturpolitik reimt sich automatisch leider gar nichts, was einmal eine nostalgische Pop-Utopie werden könnte. Ganz zu schweigen davon, dass man nur sehr, sehr schwer dazu tanzen kann. Im besten Fall bekommt man in diesem Land mit Pop-Kulturpolitik ja so etwas wie die Popakademie Baden-Württemberg. Im schlimmsten Fall beschleunigt man die Gentrifizierung - siehe Berlin - in Richtung Lichtgeschwindigkeit.

Mit anderen Worten: Vielleicht ist ja schon die Frage ganz falsch. Und vor allem: die Laune! Viel zu defensiv und melancholisch. So wird das nichts mit der nächsten kleineren und schon gar nichts mit einer größeren Münchner Pop-Sensation. Und so wäre es auch nichts geworden mit den Münchner Pop-Sensationen der jüngeren Vergangenheit. Die werden ja meistens schnell vergessen: Der Electroclash von DJ Hell und sein Label International Deejay Gigolo Records zum Beispiel, das mit "Kernkraft 400" von Zombie Nation und "Emerge" von Fischerspooner Ende der Neunziger-, Anfang der Nullerjahre sogar zwei Hits verlegte, die längst Pop-Klassiker sind.

Oder die genialen Poets of Rhythm um die Brüder Max und Jan Weissenfeldt, die eine der entscheidenden Inspirationen für das Retrosoul-Revival um Amy Winehouse waren. Oder Jonas Imbery und Mathias Modica, die als DJs zuerst die zweite Munich-Disco-Welle anführten, bevor sie auf ihrem Label Gomma Dance-Punk-Genies wie die dänische Band WhoMadeWho formten. Oder die beiden auf der ganzen Welt gebuchten Bass-Fürsten der Schlachthofbronx. Oder natürlich, am anderen Ende des Geschäfts, der gigantische Erfolg der freundlichen Sportfreunde Stiller.

Die Frage kann und darf deshalb nicht eine Sekunde sein, ob überhaupt mal wieder was passiert, sondern wann! Das wäre Pop. Und wenigstens schon mal ein echter Anfang. Oder wie es der amerikanische Underground-Punk-Hilfsherzog Ian Svenonius in seinem fabelhaften Buch "22 Strategien für die erfolgreiche Gründung einer Rockband" so schön schreibt: "Wenn Sie nicht gerade Zugang zu einer Zeitmaschine haben, werden Sie nicht im New Orleans von 1956, im Swinging London von 1967, im New York von 1976, im Manchester von 1988 oder an einem anderen Ort leben, den Sie gewohnheitsmäßig idealisieren."

Bei den Bandmitgliedern, müsse man sich in der Regel mit dem "vorhandenen Rohmaterial" zufrieden geben: "Diese armen Würstchen kommen Ihnen vielleicht wie Einfaltspinsel, spießige Langweiler, Trottel, Nichtsnutze oder schräge Vögel vor", das dürfe aber keine Rolle spielen. Weil es nur die Lehmklumpen seien, die es zu formen gilt: "Lassen Sie sich nicht entmutigen." Schon gar nicht, möchte man ergänzen, von der Zwangsläufigkeit, die im Nachhinein Erfolgen so gerne angedichtet wird. Mindestens ebenso oft waren sie schließlich in Wahrheit nichts anderes als reiner Zufall.

Im besten aller München muss die Frage deshalb sowohl sein, was die Stadt für den Pop tun kann, als auch, was der Pop für die Stadt tun kann. Also ermutigen und sich nicht entmutigen lassen. Dann wird schon mal wieder etwas passieren. Vielleicht sogar eher früher als später. Weil Künstler und Musiker zwar einerseits seit Jahren - und meist in Richtung Berlin - die Stadt verlassen, aber andererseits doch niemals nichts mehr ist. Aus diesem Geist heraus ist das "Sound of Munich Now"-Festival vor zehn Jahren von der SZ zusammen mit dem Feierwerk an der Hansastraße gegründet worden.

Man kann ihn mal wieder hören beim "Sound of Munich Now"-Open-Air am Bavariapark, das eine Art Best-of-Line-up seiner Geschichte versammelt vom Avantgarde-Elektro von Tiger Tiger über den verträumten Indiefolk von The Marble Man bis zum Bluespunk von Murena Murena. Man muss dafür eigentlich nur den Mut haben, nicht mehr bloß bequem in seinen eigenen Vorurteilen baden zu wollen, und einfach neugierig sein auf all die arme Würstchen, Einfaltspinsel, spießigen Langweiler, Trottel, Nichtsnutze und schrägen Vögel, die noch nicht das Weite gesucht haben. Wenn es der reichen Stadt an einer Sache mangelt, dann daran.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4072903
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.07.2018/huy
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.