Süddeutsche Zeitung

Musikkritik:Für Recht und Rhythmus

Das brillante Debüt-Album der Nürnberger Band "Polizei"

Von Martin Pfnür, Nürnberg

Der bairische Demo-Sommer des Jahres 2018 lief gerade auf seinen gemütserhitzten Höhepunkt zu, als die grünen Tour-Plakate in Münchens Straßen auftauchten. Mit dem atemberaubend sinnentleerten Slogan "Gefahr ist gefährlich" überschrieben, spiegelten sie den halbseiden begründeten Überwachungswahn der im Identitätsdelirium nach rechts außen gedrifteten CSU wider, die sich mit ihrem Polizeiaufgabengesetz (PAG) damals schwer in die Nesseln gesetzt hatte. Darunter, als wäre es der listigen Spitzen noch nicht genug, fanden sich unter "Keys", "Drums" und "Bass" prophylaktisch schon mal die Handynummern der drei Bandmitglieder, darüber schließlich noch der zeitgeistige Bandname: Polizei.

Knapp zwei Jahre ist das jetzt her. Zwei Jahre, in denen der einst weithin verteufelte PAG-Verfechter Markus Söder als katastrophal gestarteter Ministerpräsident Bäume umarmte und auf Nachdruck Bienen rettete, um sich schließlich zum aktuell beliebtesten Politiker des Universums aufzuschwingen. Und zwei Jahre, in denen Marco Stanke (Keys), Michael Ullrich (Drums) und Philipp Zörndlein (Bass) zum einen ihr Kunststudium abschlossen - Stanke und Zörndlein in Malerei an den Akademien in München respektive Nürnberg, Ullrich als Grafikdesigner in Nürnberg -, sich davor aber auch immer wieder zu kurzen musikalischen Hauruck-Sessions an der Nürnberger Kunstakademie zusammenfanden, bei denen sie einfach mal den Rekorder mitlaufen ließen.

Anfang April, mitten in die neue kulturelle Leere hinein, veröffentlichten sie als Konzentrat dieser Aufnahmen ihr Debüt-Album, überschrieben mit einer fidel ins Turbokapitalistische gedrehten Verhohnepipelung eines steinalten Sponti-Slogans, die so wohl nur dieser Band einfallen kann: "Bildet Banken". Veröffentlicht als USB-Stick in Kreditkartenform (bestellbar unter polizei_band@mail.de) und auf den gängigen Streamingportalen, vereinen sich darauf wavige Artifizialität, krautrockiger Flow, punkige Hysterie und technoide Anklänge zu einem erfrischend ungebügelten, da komplett aus dem Moment herausgegossenen One-Take-Sound, der laut Marco Stanke gewissermaßen ein Konzert dokumentiere, das man so nie gespielt habe und vermutlich auch nie spielen werde. "Wir sind durch und durch eine Live-Band", sagt er. "Unsere Konzerte sind Improvisationen auf Blickhöhe und in Berührungsreichweite mit dem Publikum. Die Option, gezielt Songs zu erarbeiten, sie zu üben und perfekt aufzunehmen, kam somit für uns nicht in Frage, da wir den größten Drive haben, wenn wir spontan agieren."

Live wird man die drei freilich so schnell nicht erleben können, ihr USB-Stick-Release-Konzert im Nürnberger Club Rakete ist wie alle anderen Konzerte jenseits des Netzes abgesagt. Bleiben also nur Youtube, die üblichen Portale oder die Kreditkarte, um mit dem hypernervösen "Rendezvous Europa" auch einen Song zu hören, der wohl einst um eine auseinanderdriftende Staatengemeinschaft kreiste, jetzt aber vielmehr unsere neue Realität in vier bis zur Erschöpfung gebrüllten, gekeiften und gehechelten Wörtern selten perfekt zu verdichten weiß: "Distanz / International / Rendezvous Europa".

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Quelle:
SZ vom 11.05.2020
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