Kritik:Habgier versus Happy End

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Die Bühne ist ein Leichentuch, durch das die hinreichend überkandidelt ausstaffierten Figuren ihre Köpfe stecken. (Foto: Adrienne Meister)

Waltraud Lehner und Paulina Platzer verbinden in ihrer Inszenierung Puccinis "Gianni Schicchi" und Ligetis "Aventures" in der Reaktorhalle. Ein echter Clou.

Von Egbert Tholl

"Gianni Schicchi" ist der lustige Teil von Puccinis "Trittico": Das Familienoberhaupt ist gestorben, hat all seinen Besitz ans Kloster vermacht, die Familie würde leer ausgehen. Gäbe es da nicht einen Plan: Gianni Schicchi, von der Familie eigentlich kaum gelitten, soll den Verblichenen spielen, nur für den Moment, in dem der einem Notar ein neues Testament diktiert. Dazu kommt, dass Rinuccio aus dem Familienclan Schicchis Tochter Lauretta liebt, die beiden jungen Leute aber nie zusammenkämen, weil die Tante Zita die Schicchis nicht für satisfaktionsfähig hält. Es sei denn, sie hätten Geld. Puccini erfand für seine Oper ein Hauptthema, das allein schon Grund für eine Aufführung des Ulks ist, weil man es noch Tage später im Kopf hat. Und er schenkte der Lauretta die Arie "O mio babbino caro".

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Waltraud Lehner und Paulina Platzer fanden für ihre Inszenierung für die Musikhochschule in der Reaktorhalle aber einen noch viel besseren Grund. Sie verknüpfen den Puccini mit den "Aventures" von György Ligeti, einer nicht sehr langen Idee für einen Minichor in drei Stimmgruppen, der singt, aber nichts sagt, und doch von allem Menschlichen kündet, in einer von Semantik befreiten Sprache, mit spärlicher instrumentaler Begleitung. Gleich zu Beginn melden sich die "Aventures" zu, naja, Wort, als Verweis für ihre Ausbreitung in der Mitte des Abends. Dort werden sie dann zum Ausdruck der Verrücktheit und der Habgier der Figuren, legen deren brodelndes Innenleben hörbar frei, kommentieren es, spinnen es fort. Ein echter Clou.

Die Bühne ein Leichentuch, durch das die hinreichend überkandidelt ausstaffierten Figuren ihre Köpfe stecken, was sehr gut funktioniert. Alle kriegen ja mehr ab als im ursprünglichen Testament, aber das reicht nicht, die Gier bricht durch, und der Maulesel, der tollste der Toskana, den Schicchi für sich im Testament reservierte, wird verwurstet. Laura Richter betört als Lauretta, das Orchesterchen bedrängt, wenn auch farbenreich, die jungen, nicht durchweg energiegeladenen Stimmen ein wenig sehr, das Ende ist ein Happy End - oder vielleicht nicht. Ist die Frage, ob man mehr auf Ligeti hört oder auf Puccini.

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