Süddeutsche Zeitung

Musiker wollen nicht auf Japan-Tournee:Angst vor radioaktiven Strahlen

Etliche Musiker der Staatsoper wehren sich gegen eine Teilnahme an der Japan-Tournee im Herbst - aus Angst vor den Strahlen nach dem atomaren Gau in Fukushima. Die Intendanz ist verärgert.

Sabine Reithmaier

In der bayerischen Staatsoper gibt es einen heftigen Disput über die geplante Konzertreise im Herbst nach Japan. Etliche der rund 400 Mitarbeiter, die mitreisen sollen, wehren sich dagegen: Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima fürchten sie sich vor den Folgen der radioaktiven Strahlung. Möglicherweise würde ein Viertel der Belegschaft nicht mitreisen, heißt es in Kreisen der Beschäftigten.

Intendant Nikolaus Bachler und Generalmusikdirektor Kent Nagano, die Anfang Juni Tokio besuchten, können dagegen keine Gesundheitsgefährdung erkennen. Nach ihrem Willen soll die Tournee stattfinden, wie die Staatsoper vorige Woche mitteilte. Entsprechend prallten bei einer außerordentlichen Personalversammlung am vergangenen Dienstag die Meinungen hart aufeinander.

Die Intendanz hatte eigens zwei Fachleute eingeladen, die der Belegschaft die Lage in Japan erläuterten. "Demnach können wir ruhig reisen, weil die Lage, was die aktuell gemessenen Strahlenwerte betrifft, in München oder Nürnberg nicht gefährlicher ist als in Tokio", fasste ein Belegschaftsmitglied die Einschätzung des Strahlenexperten von Helmholtz-Zentrum zusammen. "Ich will da aber nicht hin." Etliche Mitarbeiter forderten in der Versammlung eine Absage, zumal ein dritter Experte, Edmund Lengfelder vom Otto Hug-Strahleninstitut, den der Personalrat mit einem Gutachten beauftragt hatte, in einer vierseitigen Stellungnahme von der Reise abrät.

Ähnliche Probleme wie die Münchner Staatsoper hatte Anfang Juni auch die New Yorker Metropolitan Opera: Aus Angst vor radioaktiven Strahlen sagten zwei Stars der in der ersten Junihälfte geplanten Japan-Tournee ihre Teilnahme kurzfristig ab: die Sopranistin Anna Netrebko und der Tenor Joseph Calleja, .

Erst Mitte Mai hatten zahlreiche Musiker der Münchner Staatsoper an einem großen Benefizkonzert für die Opfer der Katastrophe in Japan teilgenommen. Gemeinsam mit Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und der Münchner Philharmoniker waren sie im Gasteig aufgetreten.

Intendant Bachler will nach Angaben der Oper keinen Mitarbeiter zur Tournee zwingen. Er bot den Beschäftigten an, dass sie daheim bleiben können, wenn sie vom 12. September bis 12. Oktober unbezahlten Urlaub nehmen. Doch das können sich viele nicht leisten. Wer plant, sich in eine Krankheit zu flüchten, muss diese vom Vertrauensarzt feststellen lassen. Lange Zeit zum Nachdenken bleibt der Belegschaft nicht. Die Karenzanträge müssen bereits bis Ende nächster Woche gestellt werden.

Die Angst vor der Tournee zieht sich quer durch alle Abteilungen. "Egal ob Orchester, Chor, Solisten oder Technik - die Sorgen sind überall zu spüren", bestätigt Christoph Koch, Pressesprecher der Staatsoper. Selbstverständlich wolle man die japanischen Partner nicht enttäuschen und die Tournee absolvieren. Die Planungen dafür laufen seit zwei Jahren, eine Absage würde die Staatsoper allein wegen der Konventionalstrafen viel Geld kosten. "Aber es ist auch klar, dass für uns die Gesundheit der Mitarbeiter an erster Stelle steht", sagt Koch.

Um der Belegschaft zu signalisieren, dass ihre Befürchtungen ernst genommen werden - ein Gefühl, das bei der Personalversammlung manche nicht hatten - , arbeitet die Intendanz an einem Maßnahmenkatalog. So gibt es in Absprache mit den japanischen Organisatoren und den Fluggesellschaften einen Evakuierungsplan, damit die Münchner bei einem neuerlichen Atomunfall schnell außer Landes gebracht werden können. Außerdem werde man viel Trinkwasser mitnehmen und ständig Nahrungsmittelkontrollen durchführen.

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SZ vom 20.06.2011/wib
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