Süddeutsche Zeitung

Musik:Überraschender Rücktritt

Alexander Liebreich gibt Leitung des Richard-Strauss-Festivals auf

Von Sabine Reithmaier, Garmisch-Partenkirchen

Das Thema sei bitter, sagt Elisabeth Koch, die erst seit Mai amtierende CSU-Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen. Die Rede ist vom Richard-Strauss-Festival, bei dem das Geld immer knapp und immer ein Thema gewesen war. Doch in den vergangenen zwei Jahren sei es "immens defizitär" gewesen, sagt sie. Eigentlich wollte sich der Marktgemeinderat in seiner Sitzung am Donnerstagabend im Tagesordnungspunkt 12 auch nur darüber unterhalten, wie viel Geld er, völlig unvorhergesehen, noch einmal in die Hand nehmen muss, um finanzielle Lücken zu stopfen. Doch dann traf am frühen Donnerstagmorgen um 4.32 Uhr auch noch ein E-Mail von Alexander Liebreich ein. Darin erklärt der künstlerische Leiter seinen sofortigen Rücktritt. Das dürfte wohl für zusätzlichen Gesprächsbedarf sorgen.

Liebreichs Konzept, herausragende Spielorte wie Wank oder Zugspitze anzubieten und das Naturerlebnis in die Konzerte einzubinden, hatte in den vergangenen zwei Jahren zwar mehr Publikum in den Kurort gezogen, aufgrund der Qualität der künstlerischen Darbietungen aber auch den Etat des vom Markt getragenen Festivals in die Höhe getrieben. Die Räte hatte das Defizit im Vorjahr schon arg ins Sinnieren gebracht. Erst im Dezember 2019 rangen sie sich dazu durch, neuerlich grünes Licht zu geben. Daraus hatten weder Liebreich noch Kochs Vorgängerin Sigrid Meierhofer (SPD) einen Hehl gemacht. Im Gegenteil, bei der Programmpressekonferenz im Januar 2020 hatte Liebreich ein höheres Tempo angemahnt, eine langfristige Planung, im Klassikbereich unumgänglich, sei ansonsten unmöglich.

Liebreich begründet seinen Rückzug jetzt auch damit, dass ihm bis dato weder finanzielle, personelle noch strukturelle Vorgaben, die eine künstlerische Planung für ein kommendes Festival 2021 erlauben würden, genannt worden seien. "Eine verantwortbare künstlerische Arbeit kann ich auf dieser Grundlage nicht leisten", teilt er in seinem Brief an die Gemeinderäte mit. Ausgangslage der Zusammenarbeit sei die 2017 im Gemeinderat vorgestellte Neuausrichtung des Richard-Strauss-Festivals unter dem Motto "Top Music at Top Locations" gewesen, die die Gemeinde zur Professionalisierung der Struktur und der Festivalgeschäftsführung durch eine eigene juristische Person, egal ob Verein, Gesellschaft oder Firma als Träger des Festivals verpflichtete. "Seit 2017 bis zum angedachten Festival 2020 sind nunmehr drei Jahre vergangen, mehrere Anläufe im Markt zur Gesellschafts- beziehungsweise Firmengründung sind gescheitert", bilanziert Liebreich. Er weist zudem darauf hin, dass er für die Jahre 2018, 2019, 2020 nur einen Vorvertrag besessen habe, nie einen ausformulierten Vertrag.

Zum Abgang des künstlerischen Leiters äußerte sich Elisabeth Koch am Donnerstagnachmittag nur ganz gelassen am Rande. Seine Visionen und Ideen seien sehr gut gewesen, sagt sie, vor allem die Konzerte im Freien und auf den Bergen. "Aber es ist die Frage, ob wir uns das Festival in seiner bisherigen Form weiter leisten können." Für die bislang angekündigte Neuauflage im nächsten Jahr sei es ohnehin zu spät. "Wir müssten jetzt bereits kassenwirksame Beschlüsse fassen." Das wirkt fast ein wenig so, als käme der Rücktritt Liebreichs genau zum richtigen Zeitpunkt.

Es ist allerdings auch viel Geld, dass der Markt immer in die Hand nehmen muss: 330 000 Euro Eigenanteil hatten die Räte für 2019 genehmigt. Doch insgesamt müssen 504 000 Euro ausgeglichen werden. Auch für 2018 muss noch mal nachgezahlt werden, das Defizit ist auf knapp 454 000 Euro gestiegen. Heuer fallen 220 000 Euro an, obwohl das Festival coronabedingt nicht stattfindet. Freilich hat sich der künstlerische Leiter die gestiegenen Kosten nicht selbst genehmigt, von Koch kommt auch kein Vorwurf. Dafür hadert sie damit, dass die Steigerungen im Rathaus seinerzeit offenbar notgedrungen und ohne Beschluss der zuständigen Gremien abgezeichnet worden sind, um das Festival nicht sofort platzen zu lassen. Darüber wie es mit dem Festival weitergeht, soll der Gemeinderat im August diskutieren. Ganz auf Kultur möchte die Bürgermeisterin nicht verzichten. "Vielleicht gibt es 2021 ein abgespecktes Kulturprogramm", sagt Koch. Sie sorgt sich, dass die "Marke Strauss", für das Ortsmarketing wichtig, Schaden nehmen könnte. "Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass Strauss verteufelt wird", sagt sie. Und räumt freimütig ein, nicht mit jeder Straussschen Komposition etwas anfangen zu können. "Aber wenn du vor Garmisch im Stau stehst, über dem Wetterstein ein Gewitter aufziehen siehst und dazu die ,Alpensinfonie' hörst, weißt du sofort, wo die Musik herkommt."

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SZ vom 31.07.2020
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