Die regelmäßige Erfahrung großer Katastrophen gehört zur japanischen Geschichte: Tsunamis, Taifune, Erdbeben, die Gewalt der Natur ist in dem Inselstaat oft spürbar. Deshalb sei die japanische Gesellschaft mit so etwas nicht nachtragend, erklärt die in München lebende japanische Pianistin Masako Ohta. Denn eine Gesellschaft kann nicht weiterleben, wenn sie gedanklich lange in der Lähmung einer solcher Erfahrungen hängen bleiben würde. Doch die Havarie des Atomkraftwerks Fukushima am 11. März 2011 übersteigt das Ausmaß der Naturkatastrophen.
Deshalb hat Ohta nun für ein Konzert in München ein sehr persönliches Stück wieder ausgegraben, das sie selbst seit längerer Zeit nicht mehr gespielt hat: Am 18. März 2011, also eine Woche nach dem AKW-Unfall in Fukushima, hatte Nikolaus Brass "TON" komponiert. Brass hat es für Ohta und ihren damaligen Lebensgefährten, den Kontrabassisten Stephan Lanius, geschrieben. Ohta hatte damals ein Konzert im Bayerischen Nationalmuseum in einer Porzellanausstellung geplant. Sie spielt oft und gern an besonderen Orten besondere Programme. Sie mag neue Musik, sie mag das, wenn Musik experimentiert, etwas von ihren Hörern fordert und neue Erkenntnisse schafft. Porzellan als Kunst, die den Osten, also ihre Heimat Asien, mit ihrer Wahlheimat, dem Westen, verbindet, war ein schönes Konzept. Doch dann geschah das Unglück in Fukushima, und für die Japanerin war alles anders. "Nikolaus Brass hat mich gleich angerufen, gefragt, ob es meiner Familie gut geht, das hat mich sehr berührt", sagt sie. Sie warf das Programm ihres Konzertes in der Folge um und führte gemeinsam mit Lanius Brass' neues Stück auf. "Nikolaus Brass komponiert so pur, ehrlich und mit so viel Menschenwärme", sagt sie, sie habe die Musik damals als passend und tröstlich empfunden. Aber nachdem die Beziehung mit Stephan Lanius in die Brüche gegangen war, habe sie "TON" nicht mehr gespielt.
Doch jetzt, zehn Jahr nach der Katastrophe von Fukushima, empfindet sie es als wichtiger denn je, daran zu erinnern. Auch weil sie überhaupt nicht einverstanden ist, wie die japanische Regierung mit der Aufarbeitung von Fukushima umgeht. "Es wird nach Schuld gefragt, aber was nützt das?", sagt sie. Denn gleichzeitig sei man von den Aufräumarbeiten überfordert, "die Aufgabe ist zu groß und zu schwierig, deshalb flüchten die Menschen und verdrängen". Die Fähigkeit der japanischen Gesellschaft Katastrophen schnell hinter sich zu lassen, empfindet Masako Ohta hier als falsch. Sie wünscht die Auseinandersetzung, damit eine "Heilung" geschehen kann.
Also wagt Ohta sich nun wieder an dieses für sie emotional etwas heikle Stück, spielt es gemeinsam mit dem Kontrabassisten Juan Sebastián Ruiz. Dazu hat sie unter dem Übertitel "Songlines-Echoes" mit "Stücke für leere Hände" oder "Music by numbers" für Klavier und Violine (Geige: Anna Kakutia) weitere Musik von Brass geplant, sowie Peter Kiesewetters "Hed". "Es soll kein Zeigefinger-Programm sein", sagt Ohta, sie möchte schlicht mit der Musik erinnern, die Musik solle zu diesem Gedenken einfach da sein.
Songlines-Ec hoes , Dienstag, 2. März, 20 Uhr, Link zum Live-Stream unter: www.schwerereiter.de