Süddeutsche Zeitung

Musik-Phänomen LaBrassBanda:Alles, nur kein Playback-Püppchen

Ist das noch Volksmusik - oder schon Pop? Die Blaskapelle LaBrassBanda veröffentlicht ihr drittes Album "Europa". Frontmann Stefan Dettl spricht über seine Vorurteile gegen den Eurovision Song Contest - und sagt, warum ihn Sibirien an Bayern erinnert.

Von Thierry Backes

Stefan Dettl lässt anrufen. Er verspäte sich, nicht um ein paar Minuten, um eine ganze Stunde. Der Frontmann von LaBrassBanda ist dieser Tage so gefragt wie selten: Die oberbayerische Blaskapelle veröffentlicht an diesem Freitag ihr drittes Studioalbum "Europa" (Europa/Sony). Spätestens seit dem zweiten Platz beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest (ESC) will man auch nördlich des Weißwurstäquators wissen, wer diese verrückten Typen sind, die so gar nicht nach oberbayerischer Blaskapelle klingen. Ein Gespräch über Playback-Püppchen, Kinderkassetten, russische Omas und Daft Punk.

Süddeutsche.de: Herr Dettl, im SZ-Magazin wurde ihr Bandkollege Andreas Hofmeir mit der Aussage zitiert, LaBrassBanda wäre gar nicht zum Song Contest nach Malmö gefahren, hätte man sie dort nicht live spielen lassen. Stimmt das so?

Stefan Dettl: Das kann man so stehen lassen, ja. Es war bandintern schon eine heiße Diskussion, ob wir in Hannover überhaupt antreten. Wir hatten Vorurteile gegen den Vorentscheid, haben gedacht, das sei alles nur Show. Unsere Bedingung war daher, dass wir live spielen dürfen. Wir wollten auf keinen Fall als Playback-Püppchen dastehen und - lustig, lustig, Lederhosen - nur ein bisschen umeinanderhüpfen. Die ARD hat uns das möglich gemacht, wofür wir sehr dankbar sind. Hätten wir den Wettbewerb aber tatsächlich gewonnen, hätten wir mit den Song-Contest-Veranstaltern in Malmö reden müssen. Playback wäre nämlich auch beim Finale keine Option für uns gewesen.

Das hätte dann aber zu einem mittelgroßen Skandal geführt.

Dass wir immer live spielen, ist die Bandregel Nummer 1. Unsere Fans kennen das nicht anders, sie haben uns auch dazu aufgefordert, beim Vorentscheid so aufzutreten wie immer: barfuß und in Lederhosen, ohne Glitzer-Glitzer-Scheiß.

Sie sind nur knapp an Cascada gescheitert. War der Song "Nackert" zu komplex, zu wenig eingängig für ein Fernsehformat, bei dem der Zuschauer ihn nur einmal hört?

Wir wollten uns dem Format aber nicht anpassen und ein Lied schreiben, das nur im Rundfunk gut funktioniert. Bei unseren Stücken gibt es immer längere Instrumentalpassagen, was die Songs fürs Radio eigentlich disqualifiziert. Wir werden das aber nicht umstellen, nur weil das System es so vorgibt. Wir machen unsere Musik, und die ist eben so, wie sie ist. Entweder das Format nimmt die so an und schätzt sie wert - oder halt nicht.

Wollen Sie es noch einmal beim Eurovision-Vorentscheid probieren?

In den nächsten Jahren erst einmal nicht. Aus meiner Sicht machen große Auftritte im Fernsehen nur dann Sinn für exotische Bands, wenn sie live spielen und sich authentisch präsentieren können. Der ESC-Vorentscheid braucht noch ein paar Jahre, um als Plattform für sie attraktiv zu werden.

Mehr Druck, weniger Freiheiten: Warum sind Sie von dem kleinen Münchner Label Trikont zu Sony gewechselt?

Eigentlich ist es eher umgekehrt: weniger Druck und mehr Freiheiten. Trikont bleibt nach wie vor unser Lieblingslabel, weil die unglaublich spannende Compilations veröffentlichen. Die machen mit vier Personen fünf Releases im Jahr und picken sich genau die Musik heraus, die sie selbst gerne hören. Das ist perfekt für eine Plattenfirma. Für uns gab es aber gerade im Vorfeld des ESC Dinge, die uns unheimlich belastet haben: die Pressearbeit zum Beispiel. Wenn sich das alles auf die Band abwälzt, hat man einfach viel weniger Zeit für die Musik. Also haben wir uns entschlossen, zu einer größeren Plattenfirma zu wechseln, die sich automatisch um die ganze Administration kümmert. Das hätten wir Trikont auch nicht zumuten wollen. Sony hat uns sehr herzlich aufgenommen und anfangs positiv überrascht. Man hat uns gesagt: Wenn ihr vier nun mal nicht radiotaugliche Instrumentalstücke auf dem Album haben wollt, dann macht das. Manchmal musst Du als Künstler bloß sagen, wie Du etwas machen willst.

Die neue Platte "Europa" erscheint nun bei einem Label, das zwar den gleichen Namen trägt, sich allerdings eher mit Hörspielen für Kinder beschäftigt. Wie sind Sie bei Europa gelandet?

Es ist im Sony-Universum einfach das Label, das am besten zu uns passt, weil wir alle noch alte "TKKG" und "Die drei ???"- Kassetten haben. Ein unter Anführungszeichen cooleres Label wie Columbia hätte vielleicht nicht so gut zu uns gepasst.

Auf der Platte selbst verarbeiten Sie Eindrücke von 500 Konzerten. Welche ist die prägnanteste Erinnerung von Ihren Reisen?

Die schönste Erinnerung habe ich an die Uraufführung des Stücks "Russland" in der Transsibirischen Eisenbahn. Ich hatte mir zwar vor unserer Tour Gedanken gemacht, wie sich das anfühlen könnte, wenn man mit 80 km/h durch die Birkenwälder Sibiriens tuckert und sechs oder acht Stunden keine einzige Person draußen sieht. Als wir aber das Lied zum ersten Mal gespielt haben, saßen wir im Speisewagen bei weißen Tischdecken und Porzellangeschirr, während eine alte, fürsorgliche Oma für uns gekocht hat. Das war ein ganz besonderer Moment. Sibirien ist übrigens die Region, die mich am stärksten an Bayern erinnert. Da ist es kalt und menschenfeindlich, aber wenn man an einer Tür klingelt, wird man sofort reingebeten und kriegt erst mal einen Tee und eine Suppe. Was schon deswegen so wichtig ist, weil du in Sibirien innerhalb von einer Viertelstunde erfrieren kannst. Das herzlich Warme, das kenne ich auch aus kleinen Orten in Bayern. Aber ich würde mir wünschen, dass die Bayern vielleicht noch mehr werden wie die Sibirier.

Und wo ist die Inspiration am größten?

In Paris, Frankreich. Wenn ich eine Stadt erfinden müsste, würde ich auf jeden Fall Paris erfinden: viele Musikclubs, alte, gepflegte Häuser, sehr viel Gefühl für schöne Sachen.

Es gibt auf "Europa" auch ein Stück, das Frankreich heißt und offensichtlich an Daft Punk erinnert. . .

Wir sind schon sehr von Daft Punk inspiriert. Ich verbinde mit Daft Punk und speziell dem Stück "Around The World" meine ersten Techno-Erfahrungen. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, aber die Jungs klingen nicht so monoton, wie das der elektronischen Musik im Allgemeinen gerne unterstellt wird. Daft Punk sind im Gegenteil sehr musikalisch. Deswegen sehe ich es auch als großes Kompliment, wenn "Frankreich" nach Daft Punk klingt.

Das wäre dann der schlagende Beweis dafür, dass LaBrassBanda Popmusik machen - und keine Volksmusik. . .

Pop ist doch ohnehin nur der Abklatsch von Volksmusik. Er ist aus der Volksmusik entstanden. Und in welche Schublade man uns nun stecken möchte, ist uns eigentlich ziemlich egal.

Tuba oder Trompete - auf welches Instrument kann LaBrassBanda am ehesten verzichten?

Auf die Trompete, eindeutig. Weil ich sie spiele. (Lacht.) Und ich freue mich, wenn ich auch mal nicht spielen muss.

Klub oder Stadion, wo spielen Sie lieber?

Eindeutig im Klub. Da ist man näher dran an den Leuten. Und man braucht weniger Technik.

Dann freuen Sie sich also nicht auf die Auftritte mit den Ärzten im Sommer, wenn Sie mit ihnen im Stadion in Köln spielen oder auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof?

Doch, natürlich! Es ehrt uns total, wenn so eine große Live-Band mit so einer langen Tradition wie die Ärzte uns einladen, die Konzerte zu eröffnen. Wir können dort völlig druckfrei aufspielen und freuen uns tierisch, in die großen Arenen hineinblasen zu dürfen.

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