Süddeutsche Zeitung

Musik-Lehrbeauftragte:Ein Fragebogen schürt neue Angst

  • 285 Lehrbeauftragte für Musik an den Universitäten und an den drei Musikhochschulen in Bayern arbeiten unter prekären Bedingungen.
  • Nun sollen sie in eine Erklärung unterschreiben, dass sie ihren Lebensunterhalt aus anderen Quellen bestreiten können.
  • Doch genau das ist meist nicht der Fall, weil die Hochschulen inzwischen übermäßig auf die Dozenten als kostengünstigen Ersatz für Professoren zurückgreifen.

Von Jakob Wetzel

Sie haben protestiert, sie haben gestreikt, sind musizierend vor die Staatskanzlei gezogen, und zuletzt haben sie persönlich mit den wechselnden Wissenschaftsministern diskutiert: Lehrbeauftragte für Musik an den Universitäten und an den drei Musikhochschulen in Bayern fordern vom Freistaat ein Ende ihrer prekären Arbeitsbedingungen. Zum Teil arbeiten sie seit Jahrzehnten für den Freistaat, sie müssen sich aber semesterweise von Lehrauftrag zu Lehrauftrag hangeln. Sie wünschen sich eine Perspektive, feste Verträge und soziale Absicherung. Und jetzt hat der Freistaat reagiert - aber ganz anders als von den Lehrbeauftragten erhofft.

In den vergangenen Wochen haben die Dozenten an den Musikhochschulen Nürnberg und Würzburg Post erhalten, und zuletzt auch die an der Hochschule für Musik und Theater München (HMTM). Darin erklären die Hochschulen, sie müssten den Lehrbeauftragten auf Wunsch des bayerischen Wissenschaftsministeriums Fragebögen vorlegen. Die Dozenten sollen sie unterschrieben zurückschicken, in München innerhalb von etwa einer Woche, bis zu diesem Montag, andernfalls könne kein Lehrauftrag mehr erteilt werden. Die Frist sei eng gesetzt, weil es um Lehraufträge für das schon laufende Semester gehe, erklärt die Münchner Hochschule für Musik und Theater. Die wolle sie möglichst bald vergeben können.

Doch die Unterschrift fällt vielen Dozenten schwer. Denn in dem vom Ministerium vorgegebenen Fragebogen lautet der erste Satz: "Hiermit erkläre ich, dass ich meinen Lebensunterhalt aus anderen Quellen als den Lehraufträgen an staatlichen bayerischen Hochschulen hinreichend bestreiten kann." Genau das ist oft nicht der Fall.

Denn die Situation vieler Lehrbeauftragten ist irregulär, viele sind auf ihre Lehraufträge angewiesen, und das ist in den Hochschulen und im Wissenschaftsministerium wohlbekannt. Gesetzeskonform ist es freilich nicht: Lehraufträge müssen laut Hochschulpersonalgesetz Nebenjobs sein. Etablierte Orchestermusiker sollten ihre Berufserfahrung in die Ausbildung einfließen lassen, zudem sollten Spezialisten für ausgefallene, nicht regelmäßig unterrichtete Fächer den Stundenplan bereichern, das war ursprünglich die Idee.

Tatsächlich aber greifen die Hochschulen übermäßig auf Lehrbeauftragte zurück, Letztere sind zu einem kostengünstigen Ersatz für Professoren geworden. An den drei bayerischen Musikhochschulen gibt es derzeit rund 900 von ihnen. In einer Umfrage unter ihnen gab mehr als die Hälfte der Befragten an, existenziell von den Lehraufträgen abhängig zu sein. Und längst stemmen die freien Dozenten den Großteil der Lehre; an der Münchner Hochschule waren es nach eigenen Angaben 2017 knapp 40 Prozent. Für die HMTM arbeiten derzeit 188 hauptberufliche Dozenten und ganze 285 Lehrbeauftragte.

Intern ist der Ärger groß

Unter diesen geht nun die Angst um. Öffentlich äußert sich keiner, intern aber ist der Ärger groß. Womit man seinen Lebensunterhalt "hinreichend bestreiten" könne, sei Ansichtssache, klagen manche, denn die einen hätten ja Vermögen, andere gut verdienende Ehepartner. Wie Künstler mit schwankender Auftragslage erklären können sollen, dass sie auf ein Standbein verzichten können, wollen andere wissen. Einer schlägt vor, die Dozenten sollten die Unterschrift geschlossen verweigern. Einige Lehrbeauftragte haben nun angekündigt, die Erklärung zwar zu unterschreiben, sie aber zusammen mit einer Protestnote abzugeben.

In einem Entwurf heißt es, die Erklärung sei ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitssphäre der Lehrbeauftragten. Die Erwerbslage der Dozenten gehe die Hochschule nichts an, und diese verstoße damit außerdem gegen den Datenschutz. "Darüber hinaus gibt es möglicherweise Lehrbeauftragte, die durch so eine Erklärung zu unwahren Angaben gezwungen werden und sich insofern in einer unzumutbaren Zwangslage befinden."

Was geschieht, sollten viele Lehrbeauftragte tatsächlich nicht unterschreiben, ist offen. "Die bayerischen Musikhochschulen sehen zu einigen auftauchenden Fragen noch Klärungsbedarf", sagt Bernd Redmann, Präsident der HMTM und Sprecher der bayerischen Musikhochschulen. "Wir befinden uns dazu in Abstimmung mit dem Ministerium." Von dort heißt es indes, in diesem Fall sollten die Hochschulen mit den Betroffenen sprechen und klären, ob der womöglich bestehenden Sozialversicherungspflicht Genüge getan werde. Für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben hätten aber die Hochschulen selbst zu sorgen.

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SZ vom 12.11.2018/imei
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