Süddeutsche Zeitung

Musik:Hellwach

Rudolf Buchbinder und die Münchner Philharmoniker spielen fürs Internet

Von Egbert Tholl

Es sind Erlebnisse, die sich in den kommenden Wochen wohltuend wiederholen werden: das erste Solokonzert live, das erste Kammerkonzert und nun das erste Orchesterkonzert. Live ist da noch relativ, besteht in der Gunst eines Probenbesuchs bei den Münchner Philharmonikern. 27 Musikerinnen und Musiker sitzen gut verteilt auf dem Podium in der dunklen, leeren Philharmonie. Am Klavier sitzt Rudolf Buchbinder, spielt den Solopart vom D-Dur-Konzert von Haydn, dirigiert vom Hocker aus, springt auf, wenn er nicht spielen muss, dirigiert dann stehend neben dem Flügel, für welchen, einem modernen Steinway, diese Musik natürlich nicht geschrieben wurde, weil es ein solches Instrument Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht gab. Aber auch die Geigen, egal wie alt, haben schließlich Stahlsaiten, und das Endergebnis gibt ohnehin allem recht, es ist buttrig, warm, wunderschön, durchsetzt von Buchbinders perlender Brillanz und beiläufiger Virtuosität, zu der sein Gesang kommt. Buchbinder singt leise mit, danach muss sich seine Stimme erholen. "Es war mein Traum, Tenor zu werden, aber ich sage Ihnen, meine Stimme klingt nicht einmal im Badezimmer."

40 Musiker sind auf der Bühne erlaubt, da geht sich auch noch Beethovens erstes Klavierkonzert aus, da sind es dann acht mehr als beim Haydn. Normalerweise, sagt Buchbinder, der dirigierende Pianist, würde er die Stücke größer besetzen, geht halt gerade nicht, hat aber den Vorteil, dass es so zu einem großen Stück Kammermusik wird. "Jeder und jede hat viel mehr Verantwortung, das Spiel ist viel solistischer angelegt. Das hört man, die Philharmoniker sind hellwach, konzentriert, achten aufeinander, das muss auch deshalb sein, weil der Dirigent ja der Solist ist. Buchbinder sagt, er habe 500 Konzerte so geleitet - "das lieben alle Orchester". Das Ergebnis kann man am kommenden Wochenende über die Homepage der Münchner Philharmoniker begutachten, was dann erst einmal wieder ein Stream von vielen ist, doch dabei soll es nur noch bis Mitte Juni bleiben. Die kleine Sensation ist halt, dass da ein Orchester spielt.

Intendant Paul Müller, seit Ende Februar ungewohnt jeden Abend zu Hause, und die Philharmoniker planen drei solcher Videokonzerte, jeweils am Wochenende, dann darf das Publikum rein, zumindest 50 Menschen, für vier Konzerte bis Anfang Juli, dann ist die Saison ohnehin vorbei. Die Künstler waren ja ohnehin engagiert für diese Zeit, die Programme muss man halt den Bedingungen anpassen. Valery Gergiev will unbedingt noch im Juni kommen, ob man eine Quarantäne-Ausnahmeeinreiseregelung für ihn hinkriegt, ist noch nicht klar. Etwas anderes aber schon: Der Gasteig-Pausencaterer ist pleite.

Gergiev schrieb Buchbinder vor kurzem: "Wir können froh sein, wir haben die Musik. Und bald wieder das Publikum." Die Philharmoniker verbrachten die vergangenen Wochen als Bürgerhilfen, bei der Feuerwehr, halfen Kollegen bei Hilfsanträgen und riefen jeden der darob fassungslosen 14000 Abonnenten persönlich an. Fast so, als hätten sie Buchbinders Corona-Kommentar gehört: "Man muss Vertrauen haben in die Eigenverantwortung der Menschen. Die Politik darf mit der Bevormundung nicht zu weit gehen." Anfang Juni spielt er im Wiener Musikverein. Vor Publikum. Eh klar.

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SZ vom 02.06.2020
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