Musik für Orchester und Chöre:Der Mann für den großen Auftritt

Musik für Orchester und Chöre: "Die Bayern sind barocke Menschen", sagt Komponist Walter Haupt in seinem Haus in Aschheim, das er selbst entwarf und das einem Schloss gleicht. Zu seinem 85. Geburtstag blickt er auf sein Leben zurück.

"Die Bayern sind barocke Menschen", sagt Komponist Walter Haupt in seinem Haus in Aschheim, das er selbst entwarf und das einem Schloss gleicht. Zu seinem 85. Geburtstag blickt er auf sein Leben zurück.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Walter Haupt ist Dirigent und Komponist und tourte viele Jahre lang durch die Welt. Jetzt, mit 85 Jahren, befasst er sich mit künstlicher Intelligenz

Von Christina Hertel, Aschheim

Die Haustür - weiß, hölzern und schwer - schwebt auf, scheinbar von selbst. Es ertönen Trompeten, Pauken, Streicher, mächtig und laut. Man steht alleine in einem Foyer - da sind ein Kronleuchter und zwei weiße Treppen, die sich in der Mitte begegnen wie in einem Schloss. Goldenes Geländer, goldene Schnörkeleien. Der Dirigent und Komponist Walter Haupt schreitet herunter, vom Lederschuh bis zum Rollkragenpullover ganz in schwarz gekleidet. Einziger Kontrast: eine goldene Uhr und sein weißes, kinnlanges Haar. Er versteht etwas von Inszenierung, auch mit 85 Jahren noch - vielleicht möchte er das mit diesem Auftritt sagen. Doch er spricht es nicht aus, bittet stattdessen ins Wohnzimmer. In der Ecke steht eine Schaufensterpuppe im Zimmermädchenkostüm, in der Mitte ein großer schwarzer Flügel, daneben eine Miniaturform aus Plastik, das Spielzeug seiner Enkel. Walter Haupt blickt auf die vergangenen 85 Jahre zurück.

Wenn man mit Walter Haupt über sein Leben spricht, scheint alles groß zu sein. Die Namen, die Orte, die Erfolge. Der Intendant August Everding war eine Zeit lang sein Chef. Der Komponist Carl Orff ein "väterlicher Freund". Winifred, die Schwiegertochter von Richard Wagner, eine Kritikerin. "Schwierig, schwierig", sei alles gewesen, was sie zu einer seiner Opern sagte. Walter Haupt lacht, als sei das ein großes Kompliment. Er lernte an der Musikhochschule in München und am Mozarteum in Salzburg. Tourte 16 Jahre lang durch die Welt, sah 48 Länder von Japan bis Mexiko vom Dirigentenpult aus. Schrieb Musik für Orchester, Chöre, Ballette und Musicals - in einem spielte Uwe Ochsenknecht Graf Dracula. Walter Haupt gründete eine Experimentierbühne an der Staatsoper in München und ein Open-Air-Musikfestival in Linz, das bis heute jedes Jahr stattfindet. Sich zur Ruhe zu setzen, könne er sich jedoch nicht vorstellen, sagt der 85-Jährige: "Das Leben ist ein Motor." Und wenn er stoppt, ist man tot.

Da steht Walter Haupt auf, geht zum Flügel und holt sein jüngstes Werk, 265 Seiten Notenpapier. Es ist die Partitur zu "Marie Antoinette", ein Tanzstück, das das Leben der extravaganten, französischen Königin bis zu ihrem Tod durch die Guillotine nachzeichnet. Die Inszenierung (ein "makelloses Gesamtkunstwerk" schrieb die Kronen Zeitung) feierte vor etwa einem Jahr in Linz Premiere. Die österreichische Stadt bezeichnet Haupt als seine zweite Heimat. Ende der Siebzigerjahre inszenierte er dort die "Klangwolke", ein Schauspiel aus Feuer, Wasser, Licht und Musik in einem Park an der Donau. Seitdem findet unter diesem Namen jedes Jahr ein solches Open-Air-Musikfestival statt. Haupts Idee dahinter: Musiktheater für alle, nicht nur für die gehobene Schicht, die sich teure Opernkarten leisten kann.

Walter Haupt ist eher der Mann für das große Spektakel als für die leisen Töne. Er erzählt von Zuschauerzahlen, die so manches Mal die Hunderttausendermarke geknackt haben sollen, von Explosionen, von Laserinszenierungen - nicht nur in Linz, auch in München auf dem Königsplatz. "Die Bayern sind barocke Menschen", sagt er. Als Jugendlicher wollte Haupt, der 1935 in München zur Welt kam, Priester werden. Doch mehr als die Idee, dass da immer ein Gott ist, der einen vor allem Bösen schützt, habe ihn der katholische Ritus interessiert, die Inszenierung, der Weihrauch, die Kostüme und Gesänge.

Mit seinem Haus in Aschheim, für das er selbst die Pläne entwarf, habe er sich vor 15 Jahren einen Traum erfüllt. Manche Türen sind blind und nur vorhanden, um die Symmetrie zu wahren, die Badewanne ist in den Boden eingelassen, das Schlafzimmer rosa tapeziert - wie in einem barocken Schloss, wo er als König regiert. Dazu passt Haupts zweiter großer Berufswunsch, den er sich anders als den ersten erfüllte: Dirigent sein, als Chef der Musiker von der Violine links vorne bis zur Pauke rechts hinten den Takt angeben. "Ich war ein Choleriker", sagt Haupt. In Moskau habe er sich einmal so geärgert, dass er einen Stuhl in den Orchestergraben schmiss. 16 Jahre lang sei er nur unterwegs gewesen, habe Hunderte Male Carmen und Aida dirigiert, oft am Nachmittag und gleich nochmals am Abend.

Woher er die Energie nimmt? Haupt ist davon überzeugt, dass die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte dafür eine Rolle spielten. Als Kind erlebte er den Zweiten Weltkrieg in München - habe gehört, wie Flugzeuge Bomben über der Stadt abwarfen, gesehen, wie sich blutverschmierte Körper aus Ruinen schleppten. "Es war der äußerste Tiefpunkt. Und um da rauszukommen, musste ich eine Kraft sammeln, die immer noch in mir steckt", sagt er.

Der andere Grund ist vielleicht, dass seine Mutter ihn zur Disziplin erzog. Während die anderen Kinder Fußball spielten, so erzählt er, habe er Klavier üben müssen, oft fünf Stunden am Tag, immer wachte die Mutter an der Seite, eine Frau, die keine Schwäche zuließ. Selbst als er an einer Nierenkolik erkrankt war, schickte sie ihn zu Konzerten. Heute sei er ihr dankbar: "Mich hat ihr Ehrgeiz sehr angespornt. Mit zehn Jahren galt ich als Wunderkind", sagt Haupt. Und irgendwann habe sich das schöne Gefühl eingestellt, etwas Besonderes zu sein.

Auch Neugier treibt Walter Haupt an. Bei seiner Aufnahmeprüfung am Mozarteum tauchte er einen Gong in ein Wasserbecken - einfach nur, um zu sehen, was passiert. In den Siebzigerjahren leitete er eine Experimentierbühne an der Staatsoper in München, eine Art Forschungslabor, wo Künstler neue Formen der Musik ausprobierten. Zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1972 inszenierte er als einer der ersten Theatermänner eine Lasershow. Und in seinem Keller steht einer der ersten Synthesizer - in einem Tonstudio, das Haupt allerdings kaum nutzt. Seine Kompositionen erschafft er im Kopf, mit Bleistift und Papier hält er sie fest.

So wird er es auch mit seiner neuesten Idee machen - selbst wenn die sich mit einem futuristischen Thema befasst: der künstlichen Intelligenz und der Frage, ob der Mensch die Maschinen noch beherrschen kann. Dabei sei er kein Skeptiker: "Ich würde gerne mal einen Computer mit meinen Kompositionen füllen und schauen, was er draus macht." Noch sei die Idee vage. Doch in seinem Kopf existieren bereits Bilder: eine Flut aus Licht und Projektionen. Bald will er sich mit einer Regisseurin unterhalten. Und dann alles aufschreiben. Am liebsten am Meer in einem Wohnmobil, sagt Haupt. So seien früher seine Kompositionen auch entstanden: Auf einem Campingplatz in Südfrankreich, am Ende einer Lichtung mit Blick auf die Wellen.

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