Süddeutsche Zeitung

Musik:Ein Feiertag für Nachtmenschen

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Bei der DJ-Messe "Mixcon" geht es in diesem Jahr erstaunlich politisch zu. Das Clubsterben und die Aufwertung der Clubkultur dominieren die Diskussionen

Von David Renke

Einen "Tag der elektronischen Tanzkultur" wünscht sich Dr. Motte, der Gründer der größten und berühmtesten Techno-Parade "Love Parade". Quasi als "Feiertag" stelle er sich den vor. Dr. Motte, der dieses Jahr 60 wird, sitzt bei einer Diskussionsrunde mit DJ Tom Novy, dem Münchner Clubbetreiber David Süß und Thomas Lechner auf dem Podium. Letzterer ist Münchner Kulturschaffender und gerade auch parteiloser Oberbürgermeisterkandidat der Linken. Sie alle reden auf der DJ-Messe "Mixcon" in der BMW Welt über "Paraden und Clubkultur". "Ihr müsst alle mitmachen", ruft Dr. Motte.

Der Vorschlag hat durchaus einen ernsten Hintergrund, denn alle Beteiligten der Runde beschäftigt die Frage, ob die Clubkultur überhaupt zukunftsfähig ist. Der Begriff des Clubsterbens macht schon länger die Runde und auch wenn nun im Bundestag eine Debatte darüber angestoßen wurde, Clubs baurechtlich als Kulturorte aufzuwerten, hat die Szene gemerkt, dass sie politisch aktiver werden muss, um ihre Interessen durchsetzen zu können.

Auch die Mixcon bietet ein Forum, auf dem diese Themen diskutiert werden können. Am Freitag und Samstag versammelten sich nun zum vierten Mal Künstler und Labelchefs, Veranstalter und Manager und besprachen auf vier Bühnen Themen, die die Branche aktuell bewegen. Neben den üblichen Dauerthemen der Musikindustrie wie Urheberrecht, der Arbeit von Labels und Press Relations von DJs, macht die Mixcon aber auch auf schwierigere Aspekte aufmerksam, zum Beispiel mit Gesprächsrunden zu Diversität und mentaler Gesundheit in der elektronischen Musikindustrie. In einem eigenen Ausstellungsraum kann man neues Equipment namhafter Hersteller austesten, nachts feiert man schließlich in den Clubs der Stadt.

Dabei ist dann auch Zeit, mit den DJs ins Gespräch zu kommen und Erfahrungen auszutauschen oder einfach Fotos zu machen. Wer mit Dr. Motte über die Messe schlendert, muss daher Geduld mitbringen. Er hat sich durch seine Paraden einen gewissen Legendenstatus erarbeitet. In Berlin plant er kommendes Jahr eine neue Parade. "Rave for the Planet" soll sie heißen. Es sei damals ein Fehler gewesen das Konzept der "Love Parade" zu verkaufen. Dass die neuen Veranstalter nur den Kommerz im Sinn gehabt hätten, sei sicherlich ein Grund dafür gewesen, dass es 2010 zum Unglück in Duisburg gekommen sei, sagt er. Daher will er bei seiner neuen Parade aus den Fehlern der Vergangenheit lernen: "Wir haben eine gemeinnützige GmbH gegründet. Bei 'Rave for the Planet' wollen wir keine Sponsoren haben. Es soll ganz um die Musik gehen", sagt Dr. Motte.

Wie wichtig diese Entkopplung der Technokultur von kommerziellen Interessen ist, bestätigt auch Lechner: "Es hat sehr lange gedauert, bis die Politik verstanden hat, dass Clubmusik tatsächlich eine Kultur ist." Häufig werde in den entsprechenden Ausschüssen der Standpunkt vertreten, dass sich die elektronische Musik über den Markt regele und daher keine Unterstützung seitens der Politik notwendig sei. "Ganz langsam setzt in der Politik ein Umdenken ein", sagt Lechner.

Dennoch sei in München die Lage für junge DJs oder Veranstalter schwierig, findet Süß: "Wenn man sich anschaut, wer in München Clubs betreibt, sind das alles diejenigen, die seit den Neunzigern unterwegs sind und in Riem oder dem Kunstpark involviert waren. Dort konnten sie experimentieren und haben aber auch gelernt, wie man einen Club betreibt." Neue Leute aber kommen derzeit nicht nach, auch weil es finanziell auch kaum möglich ist. Das hat mit Mietpreisen zu tun, Raumknappheit in der Innenstadt und den strikten Vorgaben der Stadt. "Freiflächennutzung ist in München ein ganz schwieriges Thema. Für junge Kollektive, die eine Party veranstalten wollen, bleibt eigentlich nur die Illegalität. Davor scheuen sich aber viele, weil die Bußgelder hoch sein können", erklärt Süß dazu, der für die Grünen als Kandidat für den Stadtrat antritt. Hier müsse die Stadt entscheiden, ob sie durch eine Lockerung der Vorschriften die Partykultur stärken wolle - auch, um als Stadt attraktiver zu werden.

Dr. Motte würde sogar einen Schritt weitergehen. "Wir arbeiten daran, die Kultur und die Musik als immaterielles Weltkulturerbe bei der Unesco zu verankern." Bis dahin ist es natürlich ein weiter Weg, aber es wäre ein Zeichen an die Politik, die dann unter Zugzwang stünde und die Kultur stärken müsste. Ob das aber der richtige Weg ist, bezweifelt Süß: "Ich glaube, wir sind noch nicht reif, um musealisiert zu werden. So tot sind wir noch nicht." Einig sind sich alle, wenn es darum geht, dass Clubs keineswegs ganz verschwinden werden. "Denn, was dann übrig bleibt, ist eine tote Stadt", sagt Dr. Motte. Und das kann ja nun wirklich niemand wollen.

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SZ vom 02.03.2020
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