Musik aus den Stadtteilen:Sendling, Mann, ist endskorrekt!

Von MC Harras bis zur Schlachthofbronx, von Sendling bis Grünwald - junge Münchner Künstler feiern ihre Viertel musikalisch.

Bernhard Blöchl

MC Harras ist so einer. Einer, der sein Viertel von ganzem Herzen liebt. Der sein Revier markiert mit kernigen Worten und "Sendling 70" eine Hip-Hop-Hymne schenkt. "Simma alle Münchner Meister", rappt er zum verschleppten Beat, "der Gegner, in die Hose scheißt er. Faust ist dann mit Blut verdreckt. Nur Sendling, Mann, ist endskorrekt."

Sendling 70 Pussy Riders

MC Harras und seine Sendling 70 Pussy Riders markieren ihr Revier verbal.

(Foto: Foto: oh)

So großspurig wie der Text fällt auch die Party zum CD-Debüt aus, die der Rapper in Eigenregie Ende des vergangenen Jahres in der Kranhalle zelebriert. Da schmückt sich das gestandene Mannsbild mit netzbestrumpften Tanzweibchen, da peitscht der Beat, da flattern die Geldscheine. Ein Zampano lässt es krachen. Und irgendwann stürmen die Freizeitkicker vom FC Sendling 70 auf die Bühne, um einträchtig bis 70 zu zählen.

70 Freunde sollen es sein. Immer wieder 70, Hommage an die alte Sendlinger Postleitzahl 8000 München 70. Und die 300 Gäste staunen, was MC Harras beziehungsweise der 34-jährige Philipp Goller, der hinter der protzigen Kunstfigur steckt, alles auf die Beine stellt. Videos, Band, After-Show-Party, alles. Und an der Bar gibt's Cocktails, die heißen wie MC Harras' Entourage: "Sendling 70 Pussy Riders".

Roh wie ihr Viertel

Es ist noch nicht lange her, da diskutierten Kulturkenner im Feierwerk über den "Sound of Munich now". Mit dem Ergebnis: München klingt vielfältig. Aber vielleicht sind es ja eher die Viertel als die Stadt als Ganzes, die auf Popkünstler inspirierend wirken und identitätsbildend? Die Nachbarschaft, der Platz ums Eck, die Straße, in der man als Teenager Run DMC aus dem Ghettoblaster gehört hat?

Über die Schlachthofbronx, einen der derzeit spannendsten Musikexporte aus München, sagt man, ihre Musik sei so roh wie ihr Viertel. "Damit können wir leben", stimmt Jakob zu, der wie sein Kollege Bene in der Gegend um den Schlachthof zu Hause ist und es genießt, dass hier nicht nur "Anwälte, Szenegänger und Grafikdesignereltern" leben. "Ist halt noch ein recht bodenständiges Viertel für Münchner Verhältnisse, da siehst du schon mal den Metzger eine Kippe rauchen zwischen dem Schweineschlachten."

Und wenn auf Tour in England wieder einmal einer Schwierigkeiten mit dem Namen der Elektro-Krawallbande hat, dann erklären sie sich in etwa so: "That's as close to the bronx as you can get in munich." MC Harras würde natürlich behaupten, dass man der Bronx nirgendwo näher ist als in Sendling, wenngleich sich der Schlachthof im Stadtteil Isarvorstadt in unmittelbarer Nachbarschaft befindet. Aber als selbsternannter Gangster-Rapper verortet er die sozialen Brennpunkte der Stadt eben nur in Sendling direkt.

"Da geht's ab, da geht's zu. Ends die Action, keine Ruh", reimt er und gibt allen "Wickelrock-Zicken" eindeutig zu verstehen, dass die "krassesten Frauen" und die "schicksten Schnitten" nur in seinem Revier zu finden sind. Dabei darf man eines nicht vergessen: Freilich fließt durch die Brusttrommelreime ähnlich viel Ironie wie Bier durch die Kehlen der Harras-Entourage. Und wer Sendling kennt, der weiß, dass hier die Bronx (oder das, was man sich darunter vorstellt) ungefähr einen Atlantik weit entfernt scheint.

Viertel mit Identität

Aber hinter der Überlegung, genau hier die Kunstfigur MC Harras zu platzieren, steckt in erster Linie der Respekt vor einem besonderen Teil Münchens. "Viele Viertel haben keine eigene Identität", sagt Goller, der Schöpfer von MC Harras, wenn man so will. Zwar sei der Harras "mit das Greisligste, was es gibt", wie der geborene Münchner zugibt, aber: "Sendling hat Flair. Ich mag Sendling." Groß genug war die Inspiration allemal, um dem Viertel, in dem er schon als Teenager Zeitungen austrug, bei "Radio 2Day" moderierte und in dem viele seiner Freunde leben, seinen eigenen Hip-Hop-Helden zu schenken.

Musik aus den Stadtteilen: MC Harras hat ein Faible für Sendling, das ihm als Inspiration für seine Musik dient.

MC Harras hat ein Faible für Sendling, das ihm als Inspiration für seine Musik dient.

(Foto: Foto: oh)

Dass Sendling ausreichend Stoff für Münchner Popkultur bietet, glauben auch die Kollegen der Schlachthofbronx. "Sendling ist ein Stadtviertel mit extrem viel Potential und Tradition", sagt Jakob. "Sendling-70-Shirts gibt's ja schon, seit wir denken können." Dass man es mit der Vierteltümelei, vor allem mit der amerikanisierten Form, auch übertreiben kann, verdeutlichen Spitznamen wie "Schwarlem", "Fürstenfeldbrooklyn", "South Sendling" und "Giesing Heights", die allesamt in der Club- und Hip-Hop-Szene kursieren. Klar, das sind Wortwitze. Sprachspaß statt Ernst. Auch, um den Metropolengeist zu beschwören.

Oder aber, sich genau darüber lustig zu machen. Jedenfalls steckt meist eine emotionale Bindung dahinter, die man zum Ausdruck bringen möchte. Stadtviertel als Teil des Bandnamens gibt es ja zuhauf. Man denke da nur an die Münchener Freiheit oder die Giesinger Sautreiber. Auch junge, noch unbekanntere Formationen wie die Band Panorama Camping Westend setzen dem Viertel allein mit ihrem Namen ein kleines Denkmal. Auf der Internetseite des Poprock-Quartetts ist zu erfahren, dass sie das Westend mögen, "das sich Gott sei Dank weigert, das seit Jahren proklamierte neue Szeneviertel zu werden".

Ein anderes Beispiel, wie im jungen Pop Münchner Wohngegenden und dazugehörige Lebensstile thematisiert werden, ist Aggro Grünwald. Die Stehkrägen, wie sich die Hip-Hop-Gruppe auch nannte, sorgte vor ein paar Jahren mit arrogantem Nobel-Rap und Stücken wie "Eure Armut kotzt uns an" für Aufregung in den Medien. Satire statt Liebe war hier der Motor. Denn wie sich herausstellte, handelte es sich bei der höchst professionell auftretenden Clique um ein paar Münchner Studenten, die sich über die Schickeria lustig machten.

"Beats, Bier, Babes, Bässe"

Als Gaudi-Projekt kann man auch MC Harras sehen. Eine dieser Schnapsideen, die einen nicht mehr loslassen. Bereits vor 15 Jahre, im Italien-Urlaub, hatte der damalige Abiturient Philipp Goller mit Freunden die Hymne geschaffen, mit der er sich nun an die Öffentlichkeit wagte. Als studierter Kommunikationswissenschaftler und erfahrener Fernsehjournalist fiel es ihm leichter als anderen Newcomern, ein beeindruckend professionelles Paket aus Album, Videos und Homepage zu schnüren, das er selbst im Internet vermarktet. Unterstützung von Labels oder Verlagen hatte er nicht, bei der Produktion half ein befreundeter Kollege.

Und dann sind da natürlich noch die "Sendling 70 Pussy Riders", also Tänzerinnen, Sängerinnen und Rapper, die MC Harras live zum Ereignis machen. "Wenn ich etwas kann, dann die richtigen Leute zu finden", sagt Goller. Sein Debüt mit Hip-Hop-Stücken im Old-School-Stil heißt "Beats, Bier, Babes, Bässe". Eingängige München-Stücke wie die luftige Flaucher-Nummer "Sommer in der Stadt", bei der das 16 Jahre alte Popsternchen Mina ("How The Angels Fly") den Refrain singt, fallen ebenso positiv auf wie die eine oder andere Raffinesse in den Texten.

"Ich bin eine Rampensau", sagt der 34-Jährige. "Ich möchte die Leute unterhalten, ich möchte Spaß machen." Das ist ihm bei der selbst organisierten Party zum CD-Debüt gelungen. Für dieses Jahr hat er "weitere blödsinnige Aktionen", Live-Auftritte und "drei bis vier Singles und Videos" angekündigt. Ob das Ganze pädagogisch wertvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Es soll aber bereits vorgekommen sein, dass ein Schüler ein Referat über MC Harras gehalten hat. Im Musikunterricht am Erasmus-Grasser-Gymnasium. Das liegt in Sendling, pardon, Sendling 70.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: