Kritik:Spannungsvolle Ruhe

Bei der BR-Reihe musica viva ist die rituelle Ahnenzeremonie Jongmyo Jeryeak aus Korea im Prinzregententheater zu erleben - ein Gesamtkunstwerk.

Von Dirk Wagner, München

Eigentlich ist die musica viva eine Veranstaltungsreihe des Bayerischen Rundfunks, die zeitgenössischen Kompositionen ein Forum bietet. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Deutsch-Koreanischen Kulturabkommens präsentierte die musica viva am Wochenende jedoch eine königlich rituelle Ahnenzeremonie aus Korea, die einer seit 600 Jahren gepflegten konfuzianischen Tradition folgt. Entsprechend alt war das Gesamtkunstwerk aus Musik, Gesang und Tanz, das 86 Mitglieder des National Gugak Center in Seoul darum in historischen Kostümen im Prinzregententheater aufführten.

Die Überlieferung der alten Musik ist dabei dem ebenfalls darin gedachten vierten König der von 1392 bis 1910 währenden Joseon-Dynastie zu danken. "Epochaler Vorfahre", auf Koreanisch: "Sejong", wurde jener 1450 verstorbene König posthum genannt, weil er zum Wohl seines Volkes die Landwirtschaft verbesserte, das koreanische Alphabet erfand und eine Notation ersann, um Musik schriftlich zu dokumentieren. Zudem wird ihm die Entwicklung einer Bambusflöte zugeschrieben, nach deren Grundton alle anderen Instrumente in einem musikalischen Vortrag zu stimmen sind.

Ein ungewohntes Klangbild

In der nunmehr dargebotenen Ahnenzeremonie Jongmyo Jeryeak waren das alte koreanische Zupf-, Streich-, Schlag- und Blasinstrumente, die zum Teil nur noch in jener traditionellen Zeremonie genutzt werden. Etwa der hölzerne auf dem Bauch liegende Tiger, dem zum Ende jedes Stücks mit einem Stab erst auf den Kopf geschlagen und dann dreimal über den Wellenkamm auf seinen Rücken gestrichen wurde. Neben metallenen Glocken wurden zudem aufgehängte Klangsteine mit einem Hornhammer angeschlagen. Vor allem aber das Zusammenspiel der aus Bambus gefertigten Flöten und Streichinstrumente mit ihren mikrotonalen Tonhöhenveränderungen prägten jenen eigentümlichen, stetig dahinfließenden Klang, über den sich ein ebenso variationsarmer Gesang liturgisch erhob. Für europäisch geschulte Ohren war solches Klangbild jedenfalls so ungewohnt, dass in dessen beruhigender, geradezu meditativer Wirkung zugleich auch eine spannende Unruhe mitschwang. Und gleichwohl das noch nicht einmal beabsichtigt war, passte jene alte Musik dank solcher spannenden Unruhe dann doch wieder in eine Veranstaltungsreihe wie die musica viva, die ja eigentlich mit zeitgenössischen Kompositionen neue Wege der Musik aufzeigt.

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