Städtisches Museumsdepot:Münchens materielles Gedächtnis

Schätze aus Vergangenheit und Gegenwart befinden sich im Museumsdepot für die Münchner Stadt- geschichte.

Objekte aus der Skulpturenabteilung: Schätze aus Vergangenheit und Gegenwart befinden sich im Museumsdepot.

(Foto: Florian Holzherr/Stadtmuseum)

2,5 Millionen Exponate lagern im Museumsdepot im Freimanner Hölzl, darunter ein Friseursalon und das Sofa des Atomic Cafés. Mit ihnen wird die Historie Münchens erfahrbar. Doch nun wird es eng.

Reportage von Wolfgang Görl

Hier also ruht die Vergangenheit, hier ist der letzte Schlupfwinkel des alten Münchens, ein Ort, in dem die Dinge aufbewahrt werden, die früher einmal wichtig waren, die den Alltag der Leute prägten oder ihre Sinne erfreuten. Hohe Betonwände, endlose Archivregale, optimal klimatisierte Räume - dies ist kein romantischer Ort, keine verstaubte Rumpelkammer, in der die Gespenster der Vergangenheit zwischen Spinnweben ihr Wesen treiben. Es ist ein modernes, zweckmäßiges, blitzsauberes Depot. Aber was sind da für wunderbare Sachen!

Ein kompletter Friseursalon beispielsweise, der "Salon Alexander": die alten Trockenhauben, die Waschbecken, die Spiegel, die Ledersitze - längst haben sie ausgedient. Einem Friseur, der diese einst gewiss noble, jetzt aber so antiquiert wie eine Jukebox wirkende Einrichtung heute noch hätte, würden die Kunden davonlaufen, es sei denn, es gelänge ihm, das Dauerwellenmobiliar als Retroschick populär zu machen. Oder das gut eingesessene Sofa, das einst im Atomic Café stand, einer Kultstätte des Nachtlebens, die es nun auch schon nicht mehr gibt. Oder die Schiefertafel, die ehedem auf dem Viktualienmarkt stand, mit der Verheißung: "Gut belegte Wurstsemmel mit Gurke". Unüberschaubar ist der Bestand an München-Reliquien. Und einigen Dingen, die hier zu sehen sind, ist man vor vielen Jahren schon einmal begegnet - auf dem Oktoberfest, in einer Kneipe, im Kino oder beim Flanieren durch die Straßen der Stadt.

Würde Thomas Weidner, der stellvertretende Direktor des Stadtmuseums, jeden Gegenstand, der hier gelagert ist, vorführen, hätte er mehrere Wochen, ja Monate zu tun. Die Schatzkammer befindet sich an der Lindberghstraße im Freimanner Hölzl. Sie ist das Museumsdepot der Landeshauptstadt. Das Stadtmuseum, die Villa Stuck und das Jüdische Museum verwahren in dem Gebäude jene Teile ihrer Sammlungen, die es nicht in die Dauerausstellungen geschafft haben. Mehr als zwei Millionen Gegenstände sind auf rund 10 000 Quadratmetern Nutzfläche deponiert, darunter Textilien, Gemälde, Grafiken, Filmrollen, Plakate, Möbel, komplette Ladeneinrichtungen, Alltagsutensilien, Waffen oder Wiesn-Karusselle.

Ehe es das Depot gab, waren die Objekte in drei angemieteten Lagerstätten untergebracht, was umständlich war und die Unversehrtheit der Schätze gefährdete. Vor allem Florian Dering, Weidners Vorgänger im Amt, hat keine Ruhe gegeben, bis der Stadtrat vor rund zehn Jahren den Grundsatzbeschluss für einen Neubau fällte. Danach ging es verdammt schnell: Mitte 2011 war das Bauwerk, konzipiert vom Architekturbüro Schmidt-Schicketanz, fertig. Das neue Depot hat 21,2 Millionen Euro gekostet, etwa drei Millionen weniger als veranschlagt. "Es ist optimal und richtungsweisend", sagt Weidner. Auf eine künstliche, energieintensive Klimatisierung hat man weitgehend verzichtet, der massive Stahlbeton gleicht äußere Temperaturschwankungen aus, sodass die Innentemperatur zwischen 15 und 20 Grad bleibt. "Ideal für unsere Objekte", sagt Weidner. Zudem hat man in der Konzeption auf Brandschutz großen Wert gelegt, und es gibt Räume für wissenschaftliche Arbeit sowie eine Restaurierungswerkstatt.

Städtisches Museumsdepot in München Freimann, 2013

Im Schaufenster steht ein Pegasus aus dem Jahr 1912.

(Foto: Florian Peljak)

Mattsilberne Schindeln aus verzinntem Kupferblech zieren die Fassade des quadratischen Baukörpers, der vier Stockwerke hat, zwei davon unter dem Erdboden. In einem großen Schaufenster neben dem Eingang sind ein paar der Sammlungsstücke ausgestellt: die Kupferskulptur eines Pegasus, die 1912 im Münchner Ausstellungspark stand; ein Stadtgrenzschild aus der Zeit um 1880, ein eisernes Firmenschild der Schlosserei Max Müller von 1888. Das sieht alles sehr einladend aus, doch ein Museum ist das Depot nicht. Nur gelegentlich gibt es Führungen.

Das Stadtmuseum verfügt über Bestände aus 860 Jahren Stadtgeschichte, und weil es darum geht, möglichst die gesamte Historie Münchens sinnlich erfahrbar zu machen, ist die Sammlung der Kulturgüter nie komplett. Die Geschichte geht ja weiter, und wenn die Museumsleute etwa das Lebensgefühl der jüngsten Vergangenheit abbilden wollen, tun sie gut daran, popkulturelle Gebrauchsgüter wie das Sofa des Atomic Cafés zu erwerben, das, wie alle Neuerwerbungen mit Textilanteilen, erst einmal sechs Wochen in den Quarantäneraum musste, wo es mit Stickstoff gegen Schädlingsbefall behandelt wurde.

Es wird eng im Depot

Die Sammlung wächst, das Depotgebäude aber wächst nicht mit. Wie auch? CSU-Stadtrat Richard Quaas hat vor einiger Zeit beantragt, das Kulturreferat möge dem Stadtrat berichten, "ob und welche Kapazitätsreserven im Depot des Stadtmuseums noch vorhanden sind". In seiner Begründung schreibt Quaas, dass das Gebäude "dem Vernehmen nach aus allen Nähten platzt". Was folgt, ist unverhohlene Kritik: Das Depot ist "offenbar im Vorhinein zu klein konzipiert worden, so dass jetzt Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung von Sammlungsstücken auftreten".

Thomas Weidner gibt Quaas recht und widerspricht zugleich. Zu klein sei das Depot keineswegs geplant worden, normalerweise würde der Platz schon reichen. Aber - und da ist dann Quaas doch auf dem richtigen Weg - es wird trotzdem eng im Depot, zu eng, um all das unterzubringen, was in naher Zukunft gelagert werden muss. Die Mutter der Platzprobleme ist Weidner zufolge die bevorstehende Generalsanierung des Stadtmuseums am St.-Jakobsplatz. Noch ist nicht ganz klar, wann die heiße Phase beginnt, doch eines ist sicher: Die Sanierung wird eine logistische Herausforderung. Voraussichtlich bleibt das Museum sieben Jahre lang geschlossen, und natürlich stellt sich die Frage: Wohin mit all den wertvollen Exponaten, während die Bauarbeiter in den Museumsgebäuden herumwerkeln? Auf der Baustelle können sie nicht bleiben, weshalb man nicht umhin kommen wird, sie irgendwo zwischenzulagern. Auf den ersten Blick eine klare Sache: "Was in der Dauerausstellung ist, muss im Depot landen", sagt Weidner. "Aber hier ist nicht genug Platz dafür."

museumsdepot achtung

Ein Blick in die die Spiegelsammlung.

(Foto: Stadtmuseum München/Florian Holzherr)

Das allein bringt die Museumsleute schon genug in Bedrängnis, aber es gibt noch ein Problem: Die Räume des Stadtmuseums werden nicht nur technisch saniert, sondern auch die Ausstellungskonzeption wird sich verändern. Unter anderem sei geplant, "dem 20. und 21. Jahrhundert breiten Raum einzuräumen, auf Kosten der Spezialsammlungen". Das heißt: Nicht alles, was heute in der Musik-Ausstellung oder der Abteilung Puppentheater/Schaustellerei zu sehen ist, wird im Museum verbleiben. Und auch hier stellt sich die Frage: Wohin mit den wertvollen Objekten? Die Stadt kann sie ja schlecht auf dem Trödelmarkt verhökern. Folglich sollten sie auch ins Depot, das darüber hinaus noch Gegenstände aufnehmen muss, die aus neuen Themenfelder wie etwa das der Migration stammen. Es gibt keinen Zweifel: Das Haus, welches das materielle Gedächtnis der Stadt verkörpert, ist zu klein für den kommenden Zuwachs.

Das älteste Gebäude auf dem Areal des Stadtmuseums ist das Zeughaus aus der Zeit um 1500, in dem einst die Waffen lagerten, mit denen die Münchner in den Krieg zogen. Die eindrucksvollsten Kriegsgeräte sind in der Dauerausstellung zu besichtigen, im Depot wiederum befindet sich das restliche Arsenal, eine Waffensammlung, mit der man eine schlagkräftige Nostalgie-Armee ausstatten könnten: Spieße, Hellebarden, Schwerter, Stichwaffen, Äxte und jede Menge andere furchterregende Instrumente, mit denen die Bürger den Feind bekämpften. Die besonders prächtigen Waffen sind so gut wie nie bei einem Gefecht im Einsatz gewesen, sie dienten als Schaustücke bei den Paraden der Stadtwache. Friedlicher, ja geradezu erbaulich wirkt dagegen die Glockenkollektion, etwa die mächtige Glocke der Gießerei Hahn aus dem Jahr 1788, die im Regal neben kleineren Exemplaren von der guten alten Zeit träumt, als sie noch am Kirchturm hing.

Im zweiten Untergeschoss, tief unter dem Erdboden, lagern in einem der Räume, deren nackte Betonwände ein kühles Gefäß bilden, Utensilien der Abteilung Volkskunde. Mit all diesen Sachen könnten sich die Händler auf der Auer Dult eine goldene Nase verdienen: Alte Kohleöfen, Näh- und Waschmaschinen, Kinderwägen, Fahrräder, Schlitten, Schaukelpferde, Puppenstuben, Mangeln und Wannen. Einige der Objekte sind wie alte Bekannte, die man längst vergessen hat und bei deren Anblick man sich wundert, dass es sie noch gibt: Der ausrangierte Kaugummiautomat etwa oder der Automat, der Billigstschmuck ausspuckt, Fingerringe beispielsweise und Ohrstecker, was mit raffinierter Werbelyrik angepriesen wird: "Alle schreien schon im Chor, schnell 'ne Mark rein, dann ans Ohr!" In einer anderen Kammer, die um der empfindlichen Objekte willen winterlich kalt ist, stehen zahllose Filmrollen in den Regalen. Werke von Herbert Achternbusch oder Karl Valentin und der Nachlass von Orson Welles, den seine letzte Lebensgefährtin Oja Kodar dem Filmmuseum vermacht hat.

Wie soll es weitergehen?

Das Freimanner Museumsdepot birgt Schätze, mit denen man diverse Spezialmuseen füllen könnte. Sie alle aufzuzählen, wäre ermüdend, aber das aus mehr als 8000 Teilen bestehende Ratsbesteck der Stadt München - nein, das darf nicht vergessen werden. Angefertigt hat das Tafelsilber die berühmte Silberschmiede M.T. Wetzlar, die infolge der "Arisierung" durch die Nazis zugrunde gegangen ist. Und ja, auch die Musik- sowie die Modesammlung dürfen nicht übersehen werden, und schon gar nicht die Möbelkollektion, deren Lagerraum Weidner gerade aufschließt. Hier zum Beispiel die Möbel aus der Biedermeierzeit: Die schlicht-eleganten Schränke, Kommoden, Tische und Stühle illustrieren ein höchst interessantes Kapitel in der Kulturgeschichte des Wohnens. Zur Jugendstilsammlung, verrät Weidner, werden demnächst zirka 60 Werke Richard Riemerschmids aus der Sammlung Barlow-Widmann hinzukommen - und das Platzproblem verschärfen.

Wie also soll es weitergehen? Gewiss, die Stadt könnte wieder Lagerräume anmieten, doch Weidner hält dies für keine gute Idee: Umständlich, nicht nachhaltig und auf Dauer zu teuer. Seiner Meinung nach wäre es besser, in einen Anbau zu investieren. Für eine Erweiterung des Depots haben die Planer ohnehin eine Fläche an der Nordseite vorgesehen. 2200 Quadratmeter stünden dafür zur Verfügung. Selbstverständlich würde so ein Neubau nicht ganz billig. Letztlich wird sich der Stadtrat überlegen müssen, was ihm das materielle Gedächtnis Münchens wert ist.

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