Süddeutsche Zeitung

Multiple Sklerose:Neue Hoffnung für Patienten

Die TU erhält die größte Zuwendung ihrer Geschichte und baut ein Zentrum zur Erforschung der Multiplen Sklerose

Von Stephan Handel

Die Technische Universität (TU) München baut an ihrem Klinikum rechts der Isar ein großes Zentrum zur Erforschung der Multiplen Sklerose. Ermöglicht wird der Bau durch die größte Zuwendung in der Geschichte der TU: Die Klaus-Tschira-Stiftung gibt 25 Millionen Euro. Weitere neun Millionen steuert der Freistaat Bayern bei.

Der Physiker Klaus Tschira war einer der Gründer des Software-Unternehmens SAP und brachte sein damit erzieltes Vermögen 1995 in eine Stiftung ein. Ihre selbstgestellte Aufgabe ist es, "Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik sowie die Wertschätzung" dafür zu fördern, wie es in einer Eigenbeschreibung der Stiftung heißt. Pro Jahr vergibt die Stiftung etwa 50 Millionen Euro - dass die Hälfte davon in diesem Jahr ans Rechts der Isar fließt, war nicht der einzige Grund, warum TU-Präsident Wolfgang Herrmann am Mittwoch von einer "denkwürdigen Vertragsunterzeichnung" sprach. Besonders stolz sind die Universität und ihr Präsident darauf, dass sie sich um die Förderung nicht beworben haben: Die Stiftung selbst hat sich die Multiple Sklerose zum Thema gesetzt und den richtigen Ort dafür gesucht; an der Suche waren unter anderem mehrere amerikanische Nobelpreisträger beteiligt. Sie identifizierten das Klinikum rechts der Isar als optimalen Partner.

Multiple Sklerose (MS) ist eine Entzündung des Nervensystems. Diese Entzündungen, die sich zunächst etwa durch Kribbeln in den Gliedmaßen äußern, führen mit der Zeit dazu, dass die Schutzschicht, die die Nerven umgibt, zerstört wird. Was dann geschieht, kann sehr vielschichtig sein - auf keinen Fall endet MS für den Patienten immer und unwiderruflich im Rollstuhl. Es ist sogar eine vollständige Heilung mit keinen oder nur wenigen zurückbleibenden Behinderungen möglich. Nach Schätzungen leiden in Deutschland derzeit 200 000 Menschen an MS, am Rechts der Isar werden jährlich etwa 1000 Patienten betreut.

Insgesamt aber weiß die Medizin aber noch relativ wenig über die Krankheit - Peter Henningsen, Dekan der Medizinischen Fakultät an der TU, benutzte dafür den unter Ärzten geläufigen Standard-Satz: "Das ist noch nicht sehr gut verstanden." Vor allem in der Phase der Neuro-Degeneration, also nach dem infektiösen Krankheitsabschnitt, mangelt es an Wissen über den "Urmechanismus" (Henningsen). Folglich gibt es für diese Zeit des Krankheitsverlaufs recht wenig Therapie-Möglichkeiten.

Daran soll am neuen Forschungszentrum gearbeitet werden. Weil die MS mehr oder weniger bei jedem Patienten anders verläuft, sollen jeweils individuelle Voraussetzungen, Bedingungen - und letztlich Therapien - erforscht werden. Dabei bleiben die Ärzte nicht unter sich: Informatiker sollen helfen, die zu erwartende Datenflut zu ordnen und zu sichten. Sportwissenschaftler sollen die Patienten zur Bewegung anhalten und dabei herausfinden, wem was, warum hilft. Ingenieure werden sich damit beschäftigen, die bildgebenden Systeme an die Erfordernisse der medizinischen Forschung anzupassen. Insgesamt eine Kooperation über viele Disziplinen hinweg, die Henningsen, an die Vertreter der Tschira-Stiftung gewandt, zu den Worten verleitete: "Wir sind überzeugt, dass Sie an den richtigen Ort gegangen sind."

Gebaut werden soll das Forschungszentrum in der Trogerstraße, gleich neben dem Rechts der Isar. Dort stehen jetzt noch Gebäude, in denen etwa Tierställe untergebracht sind. Henningsen rechnet damit, dass Planung, Genehmigungen, Konzeptionierung und Vorarbeiten etwa ein Jahr dauern, so dass der Bau 2017 beginnen könnte. Präsident Herrmann wünscht sich die Fertigstellung für das Jubiläumsjahr 2018, wenn die TU 150 Jahre alt wird, was allerdings ehrgeizig erscheint.

Das neue Haus wird ein Forschungszentrum, keine Klinik, auch wenn Henningsen sagt, es solle Grundlagen- und klinische Forschung verbinden. Geleitet wird es von Bernhard Hemmer, dem Inhaber des Lehrstuhls für Neurologie. Für Patienten wird eine Ambulanz zur Verfügung stehen, die allerdings auch dazu dient, Probanden für Studien zu finden und zu betreuen. Was dabei herauskommt, ob es gelingt, neue Therapieansätze zu finden, kann heute noch niemand sagen. Henningsen: "Das ist eine Hoffnung, kein Versprechen."

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Quelle:
SZ vom 24.09.2015
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