Migration:Warum Frauen in der neuen Heimat oft fremd bleiben

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Die Vietnamesin Thi Thuy Linh Le ist seit 2014 in Deutschland. Weil sie ihre Töchter Jennifer (3) und Uyen (8) betreuen muss, bleibt wenig Zeit für Deutschkurse (links). Anna Conti (rechts) kennt das: Ihre Tochter ist mittlerweile neun Jahre alt. (Foto: Alessandra Schellnegger und Corinna Guthknecht)
  • Für immigrierte Frauen kann es besonders schwer sein, in Deutschland Fuß zu fassen.
  • Vor allem für Mütter ist es oftmals kompliziert, Job, Sprachkurse und die Betreuung des Nachwuchses unter einen Hut zu bringen.
  • Der Münchner Verein für Fraueninteressen organsiert daher eine Infobörse, bei der verschiedene Einrichtungen ihre Hilfe für Migranten vorstellen.

Von Fridolin Skala

Wenn Thi Thuy Linh Le die Bilder von ihren Torten auf ihrem Smartphone zeigt, fangen ihre Augen an zu leuchten. Hinter dem feinen Riss im Display ziehen zweistöckige Erdbeer-Schoko-Torten, Kokostorten mit Pandanblättern und Rosenblüten aus gefärbter Buttercreme oder Ananas-Joghurt-Torten mit filigran geschnitzten Blüten aus getrockneten Ananasscheiben vorbei. Über 100 Torten habe sie schon für Freunde und Verwandte gebacken, sagt die Vietnamesin und lacht schüchtern. Gelernt hat sie das in ihrer Heimat. Über ein Jahr lang besuchte die studierte Buchhalterin im Jahr 2005 jedes Wochenende einen Konditorkurs.

Seit 2014 lebt Le nun in München und würde gerne als Konditorin arbeiten, aber eine Stelle findet sie nicht. Weil sie keine Bescheinigung von ihrer Ausbildung habe, erhalte sie nur Absagen, berichtet die 38-Jährige. "Das war damals ein Hobby und ich wusste nicht, dass ich ein Dokument brauche", sagt Le.

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Behördengänge, Jobsuche - oder einfach ein passendes Sportangebot finden. Für Migranten gibt es einiges zu organisieren, wenn sie nach München kommen. Diese Einrichtungen helfen ihnen dabei.

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Die Anerkennung von Abschlüssen aus anderen Ländern sei nur eins von vielen Problemen, die Migrantinnen träfen, wenn sie nach Deutschland kämen, sagt die Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen Christa Weigl-Schneider. Ihr Verein organisiert deshalb bereits zum achten Mal die Infobörse für Frauen aus aller Welt. Hier stellen sich über 50 Münchner Vereine und Einrichtungen vor, die Migrantinnen unterstützen.

Willi Dräxler, der seit 22 Jahren Referent für Migration beim Caritasverband in der Erzdiözese München-Freising ist, kennt noch viele andere Probleme, die speziell Frauen mit Migrationshintergrund haben. Sein Verband berät Migranten bei Fragen zu Deutschkursen, Behörden, der Arbeitssuche oder bei familiären Problemen. "Für Frauen ist die Situation dann besonders problematisch, wenn sie noch Kinder haben, um die sie sich kümmern müssen", sagt der Sozialpädagoge. Weil deren Betreuung in der Regel den Frauen zufalle und viel Zeit in Anspruch nehme, sei es schwierig, Deutschkurse zu besuchen. Doch gute Deutschkenntnisse seien eine unabdingbare Voraussetzung für eine Arbeit, bei der es sich um keine prekäre Beschäftigung handele, sagt Dräxler.

Das weiß auch Le. Die Vietnamesin hat seit Dezember eine Teilzeitstelle in einem Hostel. Dort bereitet sie an vier Tagen in der Woche von sechs bis zwölf Uhr das Frühstücksbuffet zu und räumt die Teller ab. "Ich würde lieber mehr Deutsch lernen, damit ich gut mit der Lehrerin meiner Tochter Uyen über ihre Lernentwicklung sprechen kann", sagt sie. Weil sie jedoch seit zwei Jahren auf einen Kindergartenplatz für ihre jüngere Tochter Jennifer warte und sich um sie kümmern müsse, bleibe für einen Kurs keine Zeit. "Bei meinen ersten Deutschkursen gab es noch eine Betreuung für die Kleinkinder", erzählt sie. Damals habe sie Uyen nach dem Frühstück zur Schule und Jennifer in die Betreuung gebracht.

Dann sei sie von neun bis 13 Uhr zum Deutschkurs gegangen. Weil sie sich viele Sorgen darum gemacht habe, dass ihre Tochter gut Deutsch spreche, habe sie ihr am Nachmittag bei den Hausaufgaben geholfen und mit ihr gelernt. "Nach dem Abendessen hatte ich noch die Hausarbeit und dann oft keine Kraft mehr, selbst Deutsch zu lernen." Das habe sie dann morgens um fünf gemacht, sofern nicht gerade ihr Baby gestillt werden musste. Les Mann ist Koch, geht um zwölf Uhr mittags arbeiten und kommt erst am späten Abend nach Hause. Deswegen sei sie bei der Betreuung nach der Arbeit im Hostel auf sich alleine gestellt, sagt Le. Aber immerhin könne sie sich bei der Arbeit mit den Kollegen auf Deutsch unterhalten, um zu üben.

Genau dieser regelmäßige Sprechanlass fehlt Anna Conti. Die Italienerin kam 2010 nach München, nachdem sie ihren Mann − einen Deutschen − kennengelernt hatte. Die selbständige Veranstaltungsmanagerin versuchte in Deutschland, beruflich Fuß zu fassen, druckte Flyer, richtete eine professionelle Website ein, aber bekam keine Aufträge von Firmen. Also begann sie selbst, Veranstaltungen zu organisieren. Conti lud Künstler aus Italien und Brasilien zu Workshops, Ausstellungen und Auftritten ein, suchte Projektpartner und Sponsoren. "Die Arbeit macht mir zwar sehr viel Spaß, aber ich verdiene damit kein Geld", erzählt die 51-Jährige.

Ihr Mann sei weiterhin ihr größter Sponsor. Deshalb besucht sie nun wieder die Deutschkurse, die sie wegen der Betreuung ihrer mittlerweile neun Jahre alten Tochter nicht regelmäßig machen konnte. "Früher habe ich dann manchmal frustriert daheim gesessen. Aber ich gucke jetzt nach vorne, denn ich will arbeiten und suche einen Job bei einer Stiftung im interkulturellen oder sozialen Bereich. Deswegen ist meine Priorität, perfekt Deutsch sprechen zu können", sagt sie.

Neben der großen Schwierigkeit, Deutschkurse, Kinderbetreuung und Arbeit unter einen Hut zu bekommen, weist Caritasreferent Dräxler noch auf andere Probleme hin, die speziell Frauen betreffen. Oft bestehe eine Abhängigkeit von den Partnern, besonders wenn der Mann das Geld verdiene und die Frauen deshalb im Falle einer Trennung befürchten müssten, ausgewiesen zu werden. "Viele Migrantinnen bleiben deshalb in Beziehungen, aus denen sie eigentlich raus müssten", sagt er. Ein anderes Problemfeld sei die drohende Gefahr, in die Prostitution abzurutschen. In München gebe es etwa Frauen aus Nigeria, die von Menschenhändlern hergebracht worden seien und hier zur Zwangsprostitution gezwungen würden.

"Die Menschenhändler sind bis nach München hinein gut vernetzt und finden die Frauen leider oft wieder", berichtet Dräxler. Er erfährt aber immer wieder auch von kulturellen Auseinandersetzungen: "Gerade in muslimischen Familien, wenn Frauen oder auch Mädchen anfangen, den westlichen Lebensstil zu adaptieren, sie sich eine gewisse Position erkämpfen und arbeiten gehen, kommt es oft zu Konflikten."

All diese Probleme hat Le nicht. Sie versucht sich, so gut es geht, um ihre Kinder zu kümmern, Deutsch zu lernen und dabei auch ihrem Traum vom Tortenbacken näherzukommen. Seit diesem März hat sie einen Minijob in einem Restaurant in der Leopoldstraße. An zwei Tagen in der Woche backt sie dort ihre Torten. "Ich darf hier meine eigenen Rezepte backen. Das ist sehr gut", freut sich die Vietnamesin. Das sei zwar keine Konditorei, aber immerhin ein Anfang.

© SZ vom 04.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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