Süddeutsche Zeitung

Münchner Volkstheater:Ein Abend, der das Fürchten leert

Im Volkstheater kommt mit "Revolution" ein großartiger Roman des belarussischen Autors Viktor Martinowitsch auf die Bühne - und reale Bedrohung wird zu schönen Bildern.

Von Yvonne Poppek

Viktor Martinowitsch möchte nicht vorgeben, ein Held zu sein. "Es ist nicht meine Sache, im Ausland zu schreiben", sagt er. Als Autor müsse er in seiner Heimat bleiben, mitten in seinem Land, in seiner Sprache und Kultur. Und vielleicht wichtiger noch: Die Bücher, die bald von dieser "dunklen, dunklen, dunklen Zeit" erzählen, müssen aus dem Inneren kommen. Nicht von außen, davon ist er überzeugt. Viktor Martinowitsch kommt aus Belarus. Der 45-jährige Schriftsteller lebt in Minsk, seine Bücher sind in seiner Heimat aus dem Buchhandel verschwunden. Die Verlage, die sie publizierten, wurden geschlossen. Dass er verhaftet wird, ist eine reale Bedrohung. Es gibt Menschen mit weniger Gefahren in ihrem Leben, die sich für Helden halten.

Martinowitsch erzählt auf Englisch bei seiner Lesung im Münchner Volkstheater. Er sei dankbar, hier zu sein, eine Öffentlichkeit zu haben, die ihm daheim verwehrt wird. 30 Stunden ist er dafür angereist, um sein neues Buch "Nacht" (Europa Verlag) vorzustellen. Er wird die deutsche Ausgabe nur hier sehen, ein Exemplar in seine Heimat mitzunehmen, ist zu gefährlich für ihn. Das sagt sein deutscher Verleger, während Martinowitsch aufmerksam und zugleich in sich gekehrt neben ihm sitzt. In seinen Augen lässt sich lesen, dass er schon zu viel gesehen hat.

Als die Zeiten noch andere waren, wie Martinowitsch sagt, schrieb er den Roman "Revolution". Dieser erschien 2017, vier Jahre später dann auch auf Deutsch. Das großartige Buch ist ein weiterer Grund, warum der Autor an diesem Tag im Volkstheater ist: Hausregisseur Philipp Arnold hat "Revolution" für die Bühne adaptiert, am Abend ist die Premiere. In dem Roman geht es um Macht, einen Geheimbund in Moskau und einen jungen Akademiker, der anfangs unfreiwillig, dann willig in diesem Bund Karriere macht. Nimmt man die Biografie des Autors, die aktuelle Lage und das Thema zusammen, ist es erstaunlich, wie wenig politisch "Revolution" am Volkstheater gerät.

Regisseur Arnold hat sich klar dafür entschieden, Martinowitschs Gedankenspiel um die Verführungskraft und Manipulationsfähigkeit von Macht, die der Autor als witzige, geistreiche Lebensbeichte seines Protagonisten aufgeschrieben hat, im Abstrakten zu belassen. Er setzt auf die Parabel, nicht auf den Bezug zur gegenwärtigen Realität. Doch wie viel Parabel ist zumutbar in einer Zeit, in der die Welt im- und explodiert? Wohl nur eine, die sich tief und bitter in die Abgründe bohrt. Und das gelingt - trotz vieler schöner inszenatorischer Einfälle - an diesem Abend nicht.

Mit einem Unfall beginnt der Weg des Protagonisten an die Spitze der Macht

Die zentrale Figur im Roman und auf der Bühne ist Michail Alexejewitsch German, Dozent für Architektursemiotik. Eines Tages wird er in einen Unfall verwickelt, ihm wird Geld abgepresst, das ihm - als Rettung getarnt - ein ominöser Geheimbund zur Verfügung stellt. Dafür erwartet man natürlich Gegenleistungen, Falschaussagen vor Gericht etwa oder Verräter sterben zu lassen. Kopf des Bundes ist Batja, flankiert von drei "Aposteln", die Kommunikation, Überwachung und Gewaltausübung übernehmen.

German steigt in dem Bund immer weiter auf, soll allerdings seine Beziehung aufgeben. Das wird für ihn der Knackpunkt, weshalb er eine Revolution anzettelt, den Bund aushöhlt und sich an dessen Spitze setzt. German erzählt dies in der Rückschau, vermeintlich um seine Beziehung kämpfend, die er einst für die Macht geopfert hat.

Steffen Link ist nun dieser German, ein Akademikerbürschlein im viel zu großen Anzug, Sorte Prinzipienreiter, der Humor nur aus dem Duden kennt. Einer der glaubt, zwei potenzielle Auftragsmörder mit der Notruftaste seines Mobiltelefons bedrohen zu können. Windig, ja läppisch ist er. Wenn so jemand an die Macht kommt, kann schlecht etwas Gutes dabei herauskommen. Link spielt das großartig aus, German ist bei ihm kein Machthaber, sondern ein Instrument der Macht. Sie fließt quasi durch ihn hindurch und richtet überall Schaden an. Um zu zerstören, muss man also gar nicht böse sein, sondern nur widerstandsunfähig. Das ist ein bitterer, wahrer Gedanke, der stärkste an diesem Abend.

Anders als bei Martinowitsch ist German bei Arnold homosexuell. Seinen Partner Oleg deutet Lorenz Hochhuth mit schön gebeugter Geradlinigkeit aus. Er ist Germans Gewissen, das immer wieder auf der Bühne auftaucht und vor dem sich German zusehends nervös rechtfertigt. Langsam wendet er sich einem für ihn bequemeren Partner zu, Sascha, einer seiner Studenten. Anton Nürnberg hat ihn geschickt angelegt als eine toxische Mischung aus anbiederndem Sunnyboy und berechnendem Karrieristen. Dazwischen querulieren die drei Apostel-Figuren Pascal Fligg, Maral Keshavarz und Jakob Immervoll sowie die Batja von Elke Petri als über weite Strecken verblüffend wenig bedrohlicher Geheimbund über die Bühne. Die gefährliche, hässliche Seite der Macht, sie ist kaum spürbar. Was bei einem Abend, der davon erzählt, natürlich hilfreich gewesen wäre.

Gleichwohl zieht das der Inszenierung nicht den Stecker, denn sie hat ein ästhetisches Kraftzentrum, ein Filmisches. Die Bühne hat Belle Santos dafür im wesentlichen mit drei großen Screens eingerichtet, einer davon nimmt den kompletten Hintergrund ein, die beiden anderen sind verschiebbare Wände. Sie sind die Projektionsflächen für die intensiv eingesetzten Live-Kamerabilder und Videos (Sebastian Pircher). Beide sind hier sinnstiftende Teile der Bühnenerzählung, eröffnen neue Räume, vermögen einen in Germans Strudel hineinzuziehen. Dass man aus diesem am Ende ziemlich heil wieder auftaucht, liegt daran, dass man an dieser harmlosen Macht nicht verzweifelt.

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