Münchner Wohnungsmarkt:Mutter mit zwei Kindern muss sich Wohnung mit Studentin teilen

Münchner Wohnungsmarkt: Julia Timmons (links) sitzt mit ihren Kindern Tilda und Oskar in der Küche. Ohne die Untermiete von Sabina Orazov könnte sie sich die Wohnung als Alleinerziehende nicht mehr leisten.

Julia Timmons (links) sitzt mit ihren Kindern Tilda und Oskar in der Küche. Ohne die Untermiete von Sabina Orazov könnte sie sich die Wohnung als Alleinerziehende nicht mehr leisten.

(Foto: Catherina Hess)

Nach der Trennung von ihrem Mann konnte sich die Alleinerziehende Julia Timmons die Miete nicht mehr leisten.

Von Anna Hoben

Sabina Orazov ist an diesem Tag früher als geplant aus der Uni gekommen, nun steht sie in der Küche und knetet Teig. Ein Freund hat am nächsten Tag Geburtstag, sie will ihn mit Pelmeni überraschen, mit Hackfleisch und Kartoffelmasse gefüllten russischen Teigtäschchen. Und wenn die 22-Jährige Pelmeni macht, dann richtig, 300 bis 400 Stück können es schon werden. Eine Heidenarbeit, bei der Tilda unbedingt helfen will. "Darf ich auch mal rühren?", fragt sie und steigt auf einen Stuhl. Sabina Orazov gibt ihr die Packung Mehl, Tilda schüttet.

Seit Ostern wohnen sie zu viert in der Wohnung in Haidhausen, 90 Quadratmeter, drei Zimmer, Küche, Bad: Julia Timmons, 35, ihre Kinder Oskar, 6, und Tilda, 3, und die Physikstudentin Sabina Orazov. Als Alleinerziehende kann Timmons sich die Wohnung nicht mehr leisten; deshalb hat sie ein Zimmer untervermietet.

Einen Monat vor Oskars Geburt war Julia Timmons 2012 mit ihrem späteren Mann in die Wohnung gezogen. Es lief, wie es so oft läuft, wenn in einer Münchner Bleibe die Bewohner wechseln: Über Kontakte hatten sie erfahren, dass die Wohnung frei wird, sie bewarben sich, hatten Glück und bekamen den Zuschlag. Mit einer Warmmiete von 1300 Euro war die Wohnung damals für die Familie bezahlbar.

Vor einem Jahr dann trennten sich die Eltern. Zunächst blieben sie zusammen in der Wohnung, es dauerte, bis er etwas Neues und Bezahlbares fand. "Jetzt muss ich hier auch ausziehen", das war Julia Timmons' erster Gedanke, allein würde sie die Miete nicht aufbringen können. Sie arbeitet als freiberufliche Hebamme, in einer Klinik hat sie eine 25-Prozent-Stelle. Würde sie nicht untervermieten, sagt sie, würde sie fast nur für die Miete arbeiten.

Alleinerziehende wie Julia Timmons haben in München mit die höchste Mietbelastung. Das hat die Umfrage "Meine Miete" der Süddeutschen Zeitung ergeben. Mehr als 30 Prozent sollte man eigentlich nicht für die Miete ausgeben, sagen Experten - damit genug zum Leben bleibt. Eine solche Mietbelastung hat aber nur fast jede Vierte der 222 Münchner Alleinerziehenden, die an der Umfrage teilgenommen haben.

Timmons: "Es war gleich klar, dass das gut passt"

Julia Timmons war drauf und dran, sich nach einer anderen Wohnung umzuschauen. Aber eigentlich wollte sie nicht ausziehen. Sie fühlte sich wohl in Haidhausen, hier hatte sie über die Jahre ein soziales Netz aufgebaut. Ihre Schwester wohnte im selben Haus. Im Herbst soll Oskar in die Schule kommen. Timmons hing an der Wohnung, in der beide Kinder zur Welt gekommen waren. "Das ist unser Zuhause." In ihrem Flur hängt eine Postkarte, "Gott ist alleinerziehend", steht darauf.

Sie überlegte, was sie tun könnte, um zu bleiben. Eine Bekannte, ebenfalls alleinerziehend, hatte eine Wohngemeinschaft mit einer anderen Mutter mit Kind gegründet. Dafür wäre Julia Timmons' Wohnung zu klein gewesen, aber eine Untermieterin, das war doch eine Idee. Im Internet schaute sie sich Gesuche an, schrieb einige Frauen an, von denen sich drei oder vier zurückmeldeten. Die erste, die antwortete, war Sabina Orazov. Im März kam sie, um sich das Zimmer anzuschauen, dann ging es ganz schnell. An Ostern zog sie schon ein. "Es war gleich klar, dass das gut passt", sagt Julia Timmons. Sabina Orazov hatte kurz Sorge, dass sie eine Nanny für die Kinder sein sollte, doch es stellte sich schnell heraus, dass es so nicht gedacht war. Die einzige Abmachung ist: Wenn Julia Timmons zweimal im Monat Nachtdienst hat, bleibt Orazov zu Hause.

Sie hatte sich verschiedene Zimmer angeschaut und konnte am Ende sogar wählen zwischen mehreren WGs, einem Platz im Wohnheim und dem Zimmer bei Julia Timmons. Ihr gefiel der Gedanke, nicht ständig von anderen Studenten umgeben zu sein, und sie hatte Lust, mit Kindern zu wohnen. Auch weil sie selbst bis dahin keine kleineren Kinder in ihrem Umfeld gehabt hatte. "Wir Studenten leben ja schon in einer Blase", sagt sie, "das größte Problem ist die nächste Klausur". Mit einer alleinerziehenden berufstätigen Frau zusammenzuwohnen, helfe ihr, "auf dem Boden zu bleiben". Unter ihren Kommilitonen ist sie mit dieser Wohnform eine Exotin.

Wo früher Oskars und Tildas Kinderzimmer war, stehen jetzt ihr Schreibtisch und Bett. 450 Euro bezahlt sie für die ungefähr 18 Quadratmeter, "ein heftig guter Preis für die Größe und die Lage der Wohnung", findet Orazov. Manche hatten Julia Timmons geraten, mehr Miete zu verlangen, aber sie wollte "den Münchner Wahnsinn nicht mitmachen", wichtiger war ihr, dass es menschlich passt. Die Kinder zogen ins ehemalige Elternschlafzimmer, das Wohnzimmer ist nun Julia Timmons Schlafzimmer und Wohnzimmer zugleich. Oskar und Tilda lernten schnell, dass sie nicht mehr einfach in ihr altes Zimmer spazieren dürfen. Dass eine neue Mitbewohnerin bei ihnen lebte, war rasch ganz selbstverständlich. Als Oskar vor Kurzem seinen sechsten Geburtstag feierte, war ihm wichtig, dass sie auch kommt.

Weil sie unterschiedliche Rhythmen haben, gibt es morgens kein Gedrängel vor der Badezimmertür. Sabina Orazov ist meistens lang an der Uni und erst gegen 20 Uhr zu Hause. Sie hat sich in der Küche von Julia Timmons schon ein paar Dinge abgeschaut, umgekehrt hat diese gelernt, dass sie als alleinerziehende Mutter nicht alles perfekt machen muss. Ihre eigene Mutter, die auch alleinerziehend war, habe die Geburtstagskuchen einfach gekauft, erzählte Orazov einmal, als Julia Timmons nicht mehr aufhören wollte zu backen. Und sie haben ein ähnliches Verständnis von Sauberkeit. "Das Zusammenleben klappt wunderbar", finden beide. Auf einer Tafel im Flur steht eine Einkaufsliste: Staubsaugerbeutel brauchen sie, und Klopapier.

Die Frage ist, wie es werden soll, wenn Orazov in zweieinhalb Jahren mit ihrem Master fertig ist und wieder auszieht. "Ich hoffe einfach, dass ich dann so gut verdiene, dass ich mir die Wohnung allein leisten kann", sagt Julia Timmons. Und wenn nicht? Wenn die Kinder größer sind, braucht jedes ein eigenes Zimmer. Freunde sagen, "du lernst sicher wieder einen Mann kennen". Timmons sagt: "Was ist denn das für eine Logik?" Nein, sie will es schon selbst stemmen. "Aber das Leben wird ja nicht billiger, wenn die Kinder größer sind." Klar macht sie sich Sorgen.

Beruflich kommt sie in viele Wohnungen, "krasse Wohnungen", sagt sie, teuer, luxuriös ausgestattet. Wie viel Geld da ist, in München, in ihrem Viertel, darüber staunt sie schon manchmal. Ältere Nachbarn erzählen von früher, als Haidhausen noch ein Arbeiterviertel war und Studenten wegen der günstigen Mieten herzogen. Lange vorbei. "Es gibt fast nur noch Sozialwohnungen oder Wohnungen für Reiche." Was ist mit dem Dazwischen? "Wir haben doch auch einen Platz hier", sagt Julia Timmons. Sie hat nur immer mehr das Gefühl, kämpfen zu müssen um diesen Platz.

Wohnen in München
Online-/Digital-Grafik

In keiner anderen deutschen Stadt sind die Preise auf dem Wohnungsmarkt so expoldiert wie in München. Allein in den vergangenen zehn Jahren gab es einen Anstieg um etwa 40 Prozent.

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