Münchner Stadtrat:Lieb und teuer

Die letzte Sitzung des Plenums 2015 offenbart: CSU und SPD pflegen ihre Rathaus-Partnerschaft mit einer klaren Rollenverteilung und kostspieligen Investitionen. Nach der Abschlussrede kam es überraschend zum Eklat

Von Dominik Hutter

Schön ist das Bild ja nicht, aber widersprechen wollte im Stadtrat dann auch niemand. Dass der Drang des Politikers zum Geldausgeben ähnlich schwer zu bekämpfen sei wie der Griff des Alkoholsüchtigen zu seiner Pulle. "Wer felsenfest davon überzeugt ist, dass er nicht beteiligt war, der stehe jetzt auf", rief SPD-Fraktionschef Alexander Reissl ins Mikrofon. Das Stadtratsplenum blieb auf seinen Stühlen sitzen, der gewünschte Effekt war erreicht. Alle sind schuld an der kritischen Haushaltslage, sollte das heißen. Oder, böse gesagt: Alle sind Alkoholiker.

Der Vergleich stammt ursprünglich von Grünen-Fraktionschef Florian Roth, der damit den Sparwillen des schwarz-roten Rathausbündnisses relativieren wollte. Wer zum Trinken neige, müsse sich stets selbst Grenzen setzen, hatte Roth kürzlich gesagt. Und das klappe bei einem Alkoholiker nicht zwangsläufig. Nun musste sich Roth vom einstigen Koalitionspartner Reissl vorwerfen lassen, zu Zeiten grüner Regierungsbeteiligung doch eigentlich ganz kräftig mitgebechert zu haben. Samt seiner "grünen Trinkertruppe". Weil sich politischer Erfolg nun einmal an einer möglichst großen Zahl an Taten bemesse. Und die kosten meistens Geld.

Münchner Stadtrat: Im großen Sitzungssaal des Münchner Rathauses sollte an diesem Mittwoch die Entscheidung über sechs Referentenposten fallen. Doch am Vorabend wurde die Wahl verschoben.

Im großen Sitzungssaal des Münchner Rathauses sollte an diesem Mittwoch die Entscheidung über sechs Referentenposten fallen. Doch am Vorabend wurde die Wahl verschoben.

(Foto: Catherina Hess)

So lässt sich natürlich auch Harmonie erzeugen: Alle sitzen in einem Boot, also haben es auch alle gemeinsam verbockt. Das sieht die Opposition erwartungsgemäß nicht ganz so. Bei CSU und SPD aber ist der Hang zu einem friedlichen Jahresausklang nicht zu übersehen. Es ist erst mal geschafft - diesen Eindruck vermittelten die Großkoalitionäre am Mittwoch bei der Plenumssitzung. Es war die letzte in einem Jahr, in dem ganz plötzlich die bittere Realität in die Münchner Kommunalpolitik zurückkehrte. In Form der Erkenntnis, dass eben doch nicht für alles Geld da ist - auch wenn es sich mit Füllhorn viel angenehmer regieren lässt.

Immerhin steht nun nach diversen Anlaufschwierigkeiten der Haushalt 2016: ohne neue Schulden, ohne Einschnitte ins Sozial- und Kulturleben, ohne Entlassungen und ohne den Ausverkauf städtischen Eigentums. Dafür mit einem Auftrag, der freilich nicht schriftlich fixiert ist: die zunehmende Schieflage der Stadtfinanzen auch auf Dauer in den Griff zu bekommen. Denn so weitergehen kann es nicht, das wissen die Rathaus-Mächtigen sehr genau. Wenn es dumm läuft, so die Berechnungen von Kämmerer Ernst Wolowicz, hat München in drei Jahren gut 3,3 Milliarden Euro Schulden - fast so viele wie 2005. Läuft es besser, sind es "nur" 1,44 Milliarden. Der Großteil der Arbeit steht also erst noch bevor: Prioritäten setzen, auf Unnötiges verzichten. Und dabei möglichst das eigene Profil nicht verwässern. Gut elf Milliarden Euro kostet der Wunschzettel der Rathausmehrheit. Das wird so nicht bleiben können.

Ein Eklat am Ende

Während der Abschlussrede des CSU-Stadtrats Babor verlassen SPD und Grüne den Saal

München - Die letzte Stadtratssitzung des Jahres ist mit einem Eklat geendet. Während der traditionellen Weihnachtsrede, die das älteste Mitglied des Gremiums hält, verließen große Teile des Stadtrats den Saal. Grund waren die Äußerungen des Redners Reinhold Babor (CSU): Nach Angaben mehrerer Stadträte sagte er unter Beifall des Rechtsextremen Karl Richter, in München sei inzwischen die Obergrenze für Flüchtlinge erreicht. Die CSU, mit der die Aussagen nicht abgesprochen waren, distanzierte sich sehr deutlich von Babors Worten. "Ich verurteile den Inhalt aufs Schärfste", sagte Bürgermeister Josef Schmid (CSU). Das sei auch "einstimmig" Meinung seiner Fraktion. Babors Rede habe das Ziel einer Weihnachtsansprache "zu 100 Prozent verfehlt", erklärten die CSU-Stadträte.

"Er hat in rechtester CSU-Manier bewusst provoziert", sagte FDP-Fraktionschef Michael Mattar. Selbst CSU-Stadträte hätten den Saal verlassen. "Das wird sicherlich die letzte Weihnachtsrede von Reinhold Babor gewesen sein. So was hat in einer Abschlussrede am Jahresende nichts zu suchen", ärgerte sich SPD-Fraktionschef Alexander Reissl. Auch die Grünen zeigten sich entsetzt. "Wir haben entrüstet den Saal verlassen", sagte die Fraktionsvorsitzende Gülseren Demirel.

Die CSU kündigte an, einen Vorschlag zu unterbreiten, wer die traditionelle Weihnachtsrede künftig halten solle. Babor jedenfalls nicht mehr, das war deutlich herauszuhören. "Es ist mittlerweile eine Serie misslungener Reden", sagte Bürgermeister Schmid. Auch Babors letztjährige Ansprache vor Weihnachten und seine Worte nach der Vereidigung seien problematisch gewesen. Es gilt als denkbar, diese Aufgabe künftig nicht mehr dem ältesten, sondern dem dienstältesten Stadtrat anzuvertrauen: Walter Zöller (CSU).

Nach Auskunft der CSU-Fraktion bedauerte Babor noch am Abend seine Äußerungen. Der Rathaus-Senior ist allerdings nicht zum ersten Mal mit merkwürdigen Aussagen aufgefallen. 2013 veröffentlichte er als Chef der Senioren-Union eine ebenfalls nicht mit seinem damaligen Fraktionschef Schmid abgesprochene Presseerklärung, in der er sich in scharfer Form gegen den Bau eines Islamzentrums aussprach. Bei der Vereidigung des Stadtrats nach der Wahl 2014 verblüffte Babor mit einer Lobeshymne auf die Münchner Feuerwehr. dh, heff

Gut möglich, dass diese Operation sogar ohne größeres Wehgeschrei vonstatten geht: CSU und SPD scheinen ihren politischen Weg gefunden zu haben. Gemeinsam, aber nicht vereint. Distanziert, aber ohne Lust zum Dauerzwist. Leben und leben lassen. Es war niemals die große Liebe, die die Partner im Frühjahr 2014 zusammenführte. Dafür aber Pragmatismus und der klare Wille, sechs Jahre das Bild der Stadt zu gestalten. In diesem Stil agieren sie nun - wohl wissend, dass ihnen die zersplitterte Opposition nicht viel anhaben kann.

Ein bisschen gönnerisch kann man da schon sein zu den "Kleinen", und sei es nur, indem man sie zu Mit-Alkoholikern erklärt.

Aber auch ein bisschen Abgrenzung zum Bündnispartner gehört dazu. Und so wiederholt CSU-Fraktionschef Hans Podiuk in seiner Haushaltsrede die "nicht erledigten Aufgaben aus der Vergangenheit", also die These vom Investitionsstau, den erst die CSU aufzulösen vermochte. Das akzeptieren die Sozialdemokraten eigentlich nicht, und es passt auch nicht zum Alkoholiker-Gleichnis. Reissl hält im Gegenzug ein Plädoyer für die bei der CSU ungeliebte Trambahn, fordert entschlossenen Wohnungsbau und vergisst - anders als Podiuk - auch das Wohl der Flüchtlinge nicht. Die CSU will keine neuen Schulden, Reissl hält sie für unvermeidbar. Die Rollen sind verteilt, so scheint es, man kommt klar. Nun geht es noch ans Auskarteln: Wer gibt wo nach, ohne als Verlierer dazustehen? Auf ein paar Punkte hat man sich schon geeinigt: Die Sanierung des Stadtmuseums wird hinterfragt, und auch der Neubau der Feuerwachen ist den Koalitionären zu teuer.

Und dann gibt es noch ganz vieles, worauf das Rathausbündnis auf keinen Fall verzichten will. Die Schulbauoffensive etwa, die nun mit abgespeckten Standards umgesetzt werden soll. Die Sanierung des Stadtklinikums. Den Wohnungsbau. Vieles davon dürften die Grünen mittragen. "Auch wir trinken gerne ein gepflegtes Schlückerl", räumte deren Fraktionschef Florian Roth offen ein. Man müsse sich halt nur immer fragen, wann es Zeit ist, aufzuhören.

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