Münchner Stadtrat:Das große Suchen

Münchner Stadtrat: Im Wahlkampf sind sie noch Konkurrenten gewesen: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD, links) und der jetzige Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU).

Im Wahlkampf sind sie noch Konkurrenten gewesen: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD, links) und der jetzige Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU).

(Foto: Stephan Rumpf)

Es sind neue Zeiten angebrochen im Münchner Rathaus: CSU und SPD sind plötzlich Partner, die Grünen wollen sich in einer bunten Oppositionsriege etablieren. Doch vier Monate nach der Kommunalwahl sucht so mancher Stadtrat noch nach seiner Rolle.

Von Dominik Hutter

Ein wenig ungewohnt ist es schon noch: dass man den einstigen politischen Gegner plötzlich gut finden muss, seine Beiträge begrüßt und vielleicht auch mal applaudiert. Als Alexander Reissl (SPD) und Michael Kuffer (CSU) jüngst in der Klinik-Debatte ihren gemeinsamen Änderungsantrag vorstellten, hatten sie sich die Themen brüderlich aufgeteilt. Kuffer verkniff sich jeden Blick in die Vergangenheit, in der die CSU der rot-grünen Stadtregierung doch so oft Versagen bei der Kliniksanierung attestiert hatte. Lediglich die kleine Spitze, die CSU sei ja erst seit kurzem in der Verantwortung, erlaubte er sich.

Es sind neue Zeiten angebrochen im Münchner Rathaus - und so mancher Politiker muss seine Rolle erst noch finden. Jetzt sind SPD und CSU Partner, und die Grünen lernen gerade, dass es nicht mehr "ihre" Verwaltung ist, die den Stadtrat mit Vorschlägen und Informationen versorgt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und sein CSU-Stellvertreter Josef Schmid thronen im Sitzungssaal einträchtig nebeneinander auf ihren Stühlen, plaudern gelegentlich ein wenig. Obwohl doch jeder weiß, dass da zwei Konkurrenten zusammenarbeiten müssen, die sich in den kommenden Jahren ebenso intensiv wie unauffällig darum bemühen werden, Pluspunkte zu Lasten des anderen zu sammeln.

Zuerst mal neue Stellen für die eigenen Büros

Fast vier Monate nach der Wahl ist noch nicht allzu viel passiert im neuen Stadtrat. Aber allmählich zeichnet sich ab, wie es zugehen könnte in dieser Amtsperiode, die bis 2020 dauert. Es gibt viele Neue im Rathaus am Marienplatz, und so viele Parteien wie noch nie. Die Opposition ist vergleichsweise klein, dafür aber bunt gemischt und auf zum Teil etwas willkürlich wirkende Blöcke verteilt. Die FDP arbeitet mit den Piraten und der Wählergruppe Hut zusammen. Die Freien Wähler haben sich mit der Bayernpartei, dem Ex-SPD-ler Josef Assal und der AfD zusammengetan. Die ÖDP ist mit den Linken verbandelt.

Mit Abstand größte Oppositionspartei, wenn auch ohne entsprechende Erfahrung, sind allerdings die Grünen, die immerhin 13 Stadträte stellen (dazu kommt noch der Rosa-Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl). Mit diesem Personalstand und den Kenntnissen aus 24 Jahren Regierungszeit werden sie kaum zu überhören sein in den kommenden Jahren. Und sie werden den Trupp um den eloquenten FDP-Mann Michael Mattar auf Rang zwei verweisen, auch wenn der sich gerne als eine Art Premium-Oppositioneller präsentiert. Diese Rangfolge dürfte vor allem die Arbeit der beiden anderen Blöcke erschweren, die befürchten müssen, im vielstimmigen Chor der Gegenstimmen unterzugehen. Allein steht, wie schon in der letzten Amtsperiode, der rechtsradikale Stadtrat Karl Richter, für den sich inzwischen neue Perspektiven in Straßburg aufgetan haben: als parlamentarischer Referent des NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt.

Aber selbst wenn sich alle Oppositionsparteien einig wären: Gegen die erdrückende Übermacht von CSU und SPD, die 50 der 80 Stadträte stellen, werden sie wenig ausrichten können. CSU und SPD konnten denn auch einer Verlockung nicht widerstehen, die für große Koalitionen nicht untypisch ist: Es sich erst einmal gemütlich einzurichten.Zu den ersten Amtshandlungen gehörte die personelle Aufstockung der eigenen Bürgermeisterbüros. Beide Parteien können mit dem politischen Status quo gut leben. Die SPD hat trotz eines desaströsen Wahlergebnisses überdurchschnittlich viel Einfluss. Sie stellt neben dem Oberbürgermeister auch die meisten Referenten. Christine Strobl durfte ihren Bürgermeisterposten behalten, Alexander Reissl die Rolle als Fraktionschef. Die CSU, bei der es lange nach einer Fortführung der jahrzehntelangen Oppositionszeit aussah, darf nun doch noch mitregieren. Und Josef Schmid kann sich auf seinem Bürgermeisterposten für die OB-Wahl 2020 warmlaufen. Dafür nimmt man gerne in Kauf, den einstigen Gegner gut finden zu müssen.

Staatsminister a. D. präsentiert sich als Lernender

Weniger harmonisch geht es zwischen SPD und Grünen zu, den früheren Wunschpartnern. Bei der Klinik-Debatte am vergangenen Donnerstag zischte die Grünen-Stadträtin Lydia Dietrich böse Worte in Richtung der SPD-Bank, auf der man sich erdreistet hatte, während ihrer Rede zu schwätzen. In früheren Zeiten hätten die Sozialdemokraten dies bei einem derart wichtigen Thema unterlassen - oder aber in den Redebeitrag der CSU verschoben.

Fundamentalopposition haben die Grünen für sich ausgeschlossen. Aber ein wenig vor sich hertreiben wollen sie die "GroKo" dann doch - mit typisch grünen Themen, aber auch mahnenden Verweisen auf das schwarz-rote Bündnispapier, an dessen Erstellung die Grünen ja praktischerweise beteiligt waren. Als die Gespräche über ein Dreier-Bündnis scheiterten, war der Text bereits so gut wie fertig. Die grüne Handschrift ist unverkennbar, viele der Themen bergen Konfliktstoff für die große Koalition. Die Tram-Westtangente etwa, die von der CSU jahrelang erbittert bekämpft wurde, oder die Tunnelbauten am Mittleren Ring, die nach Meinung der CSU gar nicht großzügig genug ausfallen können. Es wird vermutlich nicht immer so friedlich ablaufen wie beim Thema Klinikum: Da hat die CSU ihre alte Position geräumt und sich der SPD angeschlossen. Nun wird geschrumpft statt gewachsen.

Aber nicht nur CSU, SPD und Grüne suchen sich selbst. Auch die FDP muss sich neu definieren. Seit sie nicht mehr im Bundestag und Landtag vertreten ist, können die geschwächten Liberalen ihr Selbstverständnis als etablierter politischer Akteur nicht mehr halten. Mattar hat sich für die Rolle als Leithammel eines bunten Bündnisses entschieden, das mit Piraten und Hut über zwei Mitglieder verfügt, die sich als Gegenmodelle zum Establishment begreifen. Lustig ist das allemal - hat die FDP mit Wolfgang Heubisch einen Staatsminister a. D. in ihren Reihen. Der allerdings nicht so auftritt: Der joviale Heubisch präsentiert sich erst einmal als Lernender.

Zwei Vollversammlungen stehen vor den Sommerferien an. Am Dienstag müssen CSU und SPD erneut loyal sein - beim Beschluss über die Kliniksanierung, vor allem aber bei einer umstrittenen Personalie. Bürgermeister Schmid will auch den Posten des Wirtschaftsreferenten übernehmen. Die SPD wird das um des lieben Koalitionsfriedens wohl mittragen. Zähneknirschend. Aber vielleicht mit Applaus.

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