Münchner Stadtmuseum:Kühler Blick auf ein Jahrzehnt

Hannah Höch, Gläser, 1927, MHK, Neue Galerie â€" Sammlung der Moderne, Kassel
© MHK, Neue Galerie â€" Sammlung der Moderne, Kassel / VG Bild-Kunst, Bonn 2020

In schräger Aufsicht auf kühlem Graublau malte Hannah Höch ihr Gläser-Stillleben 1927. Das Bild ist eine Leihgabe vom MHK, Neue Galerie - Sammlung der Moderne, Kassel.

(Foto: MHK, Neue Galerie - Sammlung der Moderne, Kassel/VG Bild-Kunst, Bonn 2020)

Die Ausstellung "Welt im Umbruch" im Münchner Stadtmuseum zeigt auf beeindruckende Weise, wie sich Malerei und Fotografie in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts gegenseitig beeinflussten - und wie Emotionen dabei auf der Strecke blieben

Von Evelyn Vogel

Längst steht fest, dass das Jahr 2020 einen tiefen Einschnitt in die Geschichte des 21. Jahrhunderts darstellt. Womöglich werden die gesamten Zwanzigerjahre unseres Jahrhunderts als Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in die Geschichte eingehen. Noch ist es zu früh, um auch nur annähernd zu umreißen, wie Künstlerinnen und Künstler auf diesen Umbruch mit ihren Arbeiten reagieren und welche Kunst sie schaffen werden, um die Coronapandemie und ihre Folgen zu verarbeiten. Doch vermutlich werden zukünftige Generationen, wenn sie irgendwann einen Blick zurück werfen, klar definieren können, wie sich dieser Umbruch künstlerisch niedergeschlagen hat, welche Formen neu entstanden sind (man denke nur an all die digitalen Formen, die sich bereits jetzt auf die künstlerische Praxis auswirken) und wie diese sich gegenseitig beeinflusst haben.

In einer Phase des Umbruchs - wenn auch unter anderen Vorzeichen - befanden sich auch die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Dieser Epoche der "Goldenen Zwanziger", die gerade mächtig en vogue ist, wie Fernsehserien wie "Babylon Berlin" belegen, widmet sich die Ausstellung "Welt im Umbruch", die nun im Stadtmuseum eröffnet wurde. Sie ist eine Kooperation mit dem Bucerius Kunstforum in Hamburg, wo sie mit wenigen Unterschieden bereits von Februar bis Mai vergangenen Jahres gezeigt wurde. Etwa 220 Fotografien, Gemälde, Zeichnungen und druckgrafische Werke haben Ulrich Pohlmann, Sammlungsleiter Fotografie im Münchner Stadtmuseum, und Kathrin Baumstark vom Bucerius-Forum aus mehr als 30 privaten und öffentlichen Sammlungen zusammengetragen und in der hiesigen Schau um einige der wichtigsten Publikationen zur Fotografiegeschichte jener Zeit ergänzt.

In der Gegenüberstellung der verschiedenen Medien wird deutlich, wie sehr gerade Malerei und Fotografie sich von vorherigen Strömungen abgrenzten und sich sowohl formal als auch inhaltlich gegenseitig beeinflussten. Die Gefühlsbetontheit von Impressionismus und Expressionismus, von Symbolismus und Fauvismus war den Künstlern in den 1920er-Jahren suspekt. Auch deshalb beginnt die in neun Kapitel eingeteilte Ausstellung mit dem Blick auf "Die Dinge". Nicht Emotionen und menschliche Interaktion wollte man erforschen. Keine expressive, laute, farbstarke Bildsprache sollte den Ausdruck beherrschen. Der Fokus richtete sich auf den Alltag. Gegenstände, Pflanzen, Architektur, Industrieanlagen, Berufsgruppen, aber auch Menschen in ihrem ganz gewöhnlichen Dasein wollte man neutral, kühl, ja bisweilen unterkühlt dokumentieren. Mit dem Blick der "Neuen Sachlichkeit" in der Malerei und des "Neuen Sehens" auf Seiten der Fotografie ging man daran, die Welt zu erforschen.

Ein beeindruckendes Beispiel ist die Gegenüberstellung des Silbergelatineabzugs einer Sammlung von Gasmasken von Hein Gorny und des Selbstbildnisses mit Gasmaske von Barthel Gilles, einem Maler, der selbst im Ersten Weltkrieg Opfer eines Gasangriffs wurde und das Thema mit ungeheuer distanzierter Sachlichkeit auf die Leinwand bringt. Den in schräger Aufsicht auf kühlem Graublau gemalten Gläsern von Hannah Höch stehen die fotografierten von Albert Renger-Patzsch gegenüber. Die architektonischen Strukturen von Fotografen wie Werner Mantz und zahlreichen anderen treffen auf Bilder von Industrieanlagen von Malern wie Karl Völker oder Carl Grossberg. Und immer wieder hängen da Porträtfotos von August Sander, dem Chronisten des 20. Jahrhunderts, und anderer Fotografen wie László Moholy-Nagy, Lotte Jacobi oder Hugo Erfurth, die in der Gegenüberstellung mit Gemälden und Zeichnungen von beispielsweise Otto Dix, Rudolf Schlichter oder Christian Schad zeigen, wie alle sich um eine Typisierung des Menschenbildes bemühten. Die reicht so weit, dass der Maler Walter Schulz-Matan in seinem "Bildnis des Dichters Oskar Maria Graf" diesem zwei farbige Stifte in die Brusttasche des Jackets und die Blaue Blume der Romantik ins Reversknopfloch steckt, um ihn als Dichter zu kennzeichnen.

Für die Ausstellung wurden Werke aus der riesigen eigenen Sammlung des Stadtmuseums hervorgeholt, die noch nie gezeigt wurden. Museen von Aachen bis Wuppertal liehen Werke, von privaten Leihgebern wurden ergänzende Pendants erbeten. Auch aus den umfangreichen Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, der Sammlung Siegert und der Sammlung Wilde sowie des Lenbachhauses sind Gemälde und Fotografien in Bezug zum hauseigenen Bestand und zueinander gesetzt worden.

Eine der vielleicht schönsten Ergänzungen, wenn man gerade in Sachen Kunst in München unterwegs ist, ergibt sich bei Karl Hubbuch, dessen Werk sich wie eine rote Linie durch die Ausstellung im Stadtmuseum zieht. Der Maler, Lithograf und Fotograf der Neuen Sachlichkeit wirkt darüber hinaus wie ein Scharnier zu der gerade eröffneten Schau "Au Rendez-vous des Amis" in der Pinakothek der Moderne. Es geht um das Bild "Zweimal Hilde II". Wobei allein die Geschichte dieses Bildes eine Ausstellung wert wäre. Kurz gesagt gab's Hilde, Hubbuchs Frau, von 1929 an gleich viermal auf derselben Leinwand großformatig in Öl. Darüber hinaus existierten offensichtlich mehrere Zeichnungen mit den vier Hilde-Variationen. Hubbuch selbst hat das Öl-Gemälde um 1933 in der Mitte zerschnitten. Die linke Hälfte mit dem Titel "Zweimal Hilde I" befindet sich im Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid. Die rechte mit dem Titel "Zweimal Hilde II" gehört den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und eben diese hängt in einer Gegenüberstellung mit einem Foto von Sarah Lucas aktuell in der Pinakothek der Moderne. In der Ausstellung "Welt im Umbruch" im Stadtmuseum hängt "Zweimal Hilde II" als aquarellierte Zeichnung aus einer Berliner Privatsammlung. Die vollständige Aquarellfassung von "Viermal Hilde" hingegen befindet sich im Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe.

Am Ende des Rundgangs versucht die Ausstellung in einem Kapitel mit dem Titel "Politische Montage" die Brücke von den "Goldenen Zwanzigern" hin zum beginnenden Nationalsozialismus zu schlagen. Das gelingt nur bedingt, wenngleich herausragende Collagen und Montagen wie "Der Diktator" oder "Hitlerfresse" von Erwin Blumenfeld unbedingt sehenswert sind. Aber ja: An dem Punkt war die Welt tatsächlich massiv im Umbruch. Und wie sehr dann die beiden folgenden Jahrzehnte die Geschichte Deutschlands neu schreiben sollten, war noch nicht abzusehen. Dies vor Augen kann man nur hoffen, das der aktuelle Umbruch sich nur auf ein Jahrzehnt beschränken wird.

Welt im Umbruch. Von Otto Dix bis August Sander - Kunst der 20er Jahre, Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, Di-So 10-18 Uhr, bis 10. Januar, Eröffnungswochenende, 3./4. Okt.: Eintritt frei, Katalog (Hirmer Verlag) 39,90 Euro

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