Süddeutsche Zeitung

Münchner Sicherheitskonferenz:Alle sprechen von Sicherheit, dieser Mann spricht vom Frieden

  • Der Psychoanalytiker Thomas Mohr ist Vorsitzender der Projektgruppe "Münchner Sicherheitskonferenz verändern".
  • Verhindern will die Gruppe die Konferenz nicht, aber sie fußt laut Mohr auf einem falschen Verständnis, nämlich dem, dass Sicherheit auf militärischer Stärke beruhe.
  • Die Organisatoren der Veranstaltung zeigen sich durchaus gesprächsbereit.

Von Gerhard Fischer

Die Großmutter von Thomas Mohr hat im Zweiten Weltkrieg ein Päckchen an die Front geschickt. Es sollte ihren Neffen erreichen. Aber die Post kam zurück, der 19-Jährige war bereits gefallen - an seinem ersten Tag im Schützengraben. Als Mohr ein Kind war, in den sechziger Jahren, hat er dieses Päckchen im Bücherschrank entdeckt. Die Oma erzählte die Geschichte dazu, und der Junge wusste, "dass Krieg keine gute Sache ist".

Thomas Mohr, 55, ist heute Vorsitzender der Projektgruppe "Münchner Sicherheitskonferenz verändern". Ihre Mitglieder verstünden sich "als Pazifisten, die sich auf Gandhi beziehen", sagt Mohr. Er findet, die Siko solle eine "Konferenz für Friedenspolitik" werden.

Mohr ist im Hauptberuf Psychoanalytiker. Er sitzt in seiner Praxis am Josephsplatz und strahlt das aus, was er weltpolitisch wünscht: viel Ruhe, große Zurückhaltung, keine Aggression. Manchmal lässt er sich mit seinen Antworten sehr viel Zeit, was etwas irritiert. Vermutlich überlegt er gründlich, bevor er etwas sagt. Das ist man in diesen Zeiten nicht mehr gewohnt.

Mohr blickt erst mal 13 Jahre zurück. "Die Demonstranten wollten damals die Sicherheitskonferenz verhindern, aber das wollte ich nicht", sagt er. Und an der Siko fand er zwar gut, dass Menschen aus der ganzen Welt sich austauschen. "Aber die Siko bestärkt den Glauben, dass Sicherheit, Wohlstand und nationale Selbstbestimmung auf militärischer Stärke und Bündnisbildung gegenüber möglichen Feinden gründen."

Das war auch nicht seine Auffassung. "Ich fand also keinen passenden Platz für mich." Die Lösung: eine Gruppe gründen, welche die Siko verändern will. Sie ist heute wie damals klein: Etwa zehn Menschen sind es, hie und da kommt Verstärkung dazu, etwa Studenten vom Studiengang Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Augsburg. Er wünsche sich, dass bei der Siko eine Friedenslogik die Sicherheitslogik ablöse, sagt Mohr.

"Bei der Sicherheit geht es gegeneinander - wie muss ich mich vor anderen schützen? Bei der Friedenslogik will man ein Problem miteinander lösen." Aber was ist, wenn der andere nicht mitmacht? Ein brutaler Gewaltherrscher zum Beispiel. Oder einer, der einen Krieg beginnt. Dann muss man sich doch schützen. Notfalls mit Gewalt.

Thomas Mohr lässt den Einwand wirken. Er hat ihn bestimmt schon tausend Mal gehört. Es ist der Einwand, mit dem alle Pazifisten zu kämpfen haben. Mohr weicht erst mal aus. "Der Westen hat sich auch oft nicht an Regeln gehalten", sagt er ruhig. "Ich denke an den Irak-Krieg; und der Kosovo-Einsatz hatte auch kein UN-Mandat." Trotzdem: Was macht man, wenn ein Diktator keinen Dialog will? Wenn er Menschen foltert, Bomben auf sie wirft, sie zu Zehntausenden tötet? Wenn Gemeinsamkeit unmöglich ist? Sollte man da nicht Gewalt anwenden, um Menschen zu retten?

Wieder überlegt Mohr. Er zögert. An seinem Gesicht, das zur Hälfte ein Bart bedeckt, ist keine Regung abzulesen. Aber dann kommt eine Antwort, die nicht mehr defensiv ist, sondern offensiv, für seine Verhältnisse fast aggressiv. "Warum sollen Pazifisten immer sagen, wo ihr nicht-pazifistischer Anteil ist?", fragt er. "Interessanter finde ich die Frage, was man alles ohne Militär machen kann."

Es gebe dafür Organisationen - etwa das staatlich geförderte "Forum Ziviler Friedensdienst", das derzeit in 43 Ländern aktiv ist, um Landkonflikte zu schlichten, Zusammenleben zu fördern, Gewalt zu verhindern. "Diese Organisationen bräuchten viel mehr finanzielle Mittel und eine größere öffentliche Aufmerksamkeit", meint er. Das ist eher die Diskussion, die Thomas Mohr führen will. Er will kommunizieren und versöhnen; er will einen fairen Welthandel; er will gewaltfreie Lösungen.

Warum engagiert er sich? Seine Oma, die mit dem Päckchen, habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg für die deutsch-französische Versöhnung eingesetzt, sagt er. Die Oma sei in Bad Kissingen geboren worden - in einer Zeit, als der Ort "ein Weltbad" gewesen sei, mit Besuchern aus Russland oder England. Die Oma habe als junge Frau ein Jahr in England verbracht, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts ungewöhnlich gewesen sei. "Sie hat dadurch einen weltoffenen Blick bekommen", sagt Mohr. Das habe ihn geprägt.

Thomas Mohr schloss sich der katholischen Jugendbewegung an und gehörte schließlich - wie er selbst sagt - zur Generation Friedensbewegung. "In der Präambel des Grundgesetzes steht, das deutsche Volk wolle dem Frieden der Welt dienen", sagt Mohr, "ich betrachte das als historischen Auftrag." Am 22. Oktober 1983 nahmen sich zwischen Stuttgart und Neu-Ulm Hunderttausende an den Händen, um gegen den Nato-Doppelbeschluss zu demonstrieren; der sah die Stationierung von atomaren Raketen in Deutschland vor. "Ich war damals dabei", sagt Mohr.

Er hat dann Psychologie studiert, unter anderem bei Thea Bauriedl, die - wie damals auch Horst-Eberhard Richter - psychoanalytisches Denken und friedenspolitisches Engagement verband. Mohr fand Bauriedls Gedanken sehr anregend, zum Beispiel ihr Buch "Wege aus der Gewalt", das die Frage aufgriff: "Was kann der Dritte tun, wenn zwei sich streiten?" Der Dritte müsse zu beiden Seiten eine Beziehung aufbauen, sagt Mohr. Dann könne er klären helfen, welche Bedürfnisse und Ängste die eine Seite habe und welche die andere. In kleinen Schritten könne so eine Veränderung möglich werden.

Seine Arbeit in der Praxis setze oft genau dort an, bloß gehe es um Privatpersonen, nicht um Politik. Mohrs Gruppe "Sicherheitskonferenz verändern" trifft sich einmal im Jahr mit Siko-Chef Wolfgang Ischinger. Das sei manchmal unergiebig, sagt er, weil Ischinger eben anders denke. Dieser habe mal gesagt, Deutschland müsse "seinen Nachkriegspazifismus überwinden" und sich noch stärker bei Krisen engagieren, die "immer häufiger vor unserer Haustür" entstünden.

Der Chef der Sicherheitskonferenz diskutiert mit Mohr

"Leider meint er damit militärisches Engagement und setzt Pazifismus mit Nichtstun gleich", kritisiert Mohr. Aber manchmal seien die Treffen auch konstruktiv. "Positiv erlebe ich es, wenn Nachdenklichkeit entsteht", sagt Mohr, "für Ischinger ist es auch wichtig, die Sicht von außen kennen zu lernen."

Wolfgang Ischinger gestattet seit einigen Jahren zwei Vertretern der Projektgruppe, Beobachter bei der Siko zu sein. Neben Mohr ist es in diesem Jahr die Schriftstellerin Daniela Dahn, die in ihrem Buch "Wehe dem Sieger" über den Nato-Einsatz in Jugoslawien geschrieben hat. "Außerdem können wir Seitenveranstaltungen für die Siko-Teilnehmer organisieren", sagt Mohr. So findet an diesem Donnerstag ein Podiumsgespräch zum Thema "Neue deutsche Verantwortung" statt; Joachim Gauck hatte diesen Ausdruck bei der Siko 2014 geprägt - er meinte damals, die Bundeswehr dürfe "im äußersten Fall" nicht aus Prinzip "nein" sagen. Mohr wird das Gespräch moderieren.

Weitere Infos (und die Termine der Seitenveranstaltungen) unter wwm.mskveraendern.de und www.friedenskonferenz.info

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Quelle:
SZ vom 16.02.2017/keke
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