Jetzt neigt sich das Jahr, in dem vielerorts der 500. Jahrestag des Reinheitsgebots besungen wurde, dem Ende zu. Bücher wurden veröffentlicht, Ausstellungen eröffnet - und natürlich viel über Bier geredet. Es ging viel um die Frage, was denn nun ein gutes Bier ausmache, um den Streit zwischen konventionellen Großbrauern und Craft-Beer-Manufakturen und sehr viel um die Historie des Bieres, mit der sich sogar ein Comic befasste. 2016 ist auch das Jahr, in dem auch Richard Winkler, der stellvertretende Leiter des Bayerischen Wirtschaftsarchivs, sich des Themas Bier angenommen hat. Genauer gesagt hat er sich mit einem Schlüsselunternehmen des bayerischen Brauwesens befasst, der Münchner Großbrauerei Löwenbräu. Der Titel seiner Abhandlung ist ein alter Werbeslogan der Brauerei und lautet "Ein Bier wie Bayern".
Die Löwenbrauerei hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich - von einer unauffälligen Braustätte an der Löwengrube, bis hin zur Weltmarke, die besonders in den USA beliebt wurde. Auf 307 Seiten (mit Anhängen 470) schildert der Autor Erfolge - bereits Ende des 19. Jahrhunderts war das Brauhaus an dritter Stelle unter den größten deutschen Biermarken - wie auch Niederlagen der Marke. Von Letzteren gab es durchaus einige. Autor Winkler hat tief recherchiert, erläutert unzählige Details, die Aufschluss geben über die allgemeine Wirtschaftslage im Laufe der Jahrzehnte, über Konkurrenz- und Machtkämpfe und das Brauwesen an sich.
Für ein wissenschaftliches Werk ist diese Genauigkeit geboten, manchmal fällt es einem aber schwer, sich durch die Detailflut zu lesen, vor allem, weil man ungern die Anmerkungen im Anhang, etwa über das Oktoberfest, auslässt. Dennoch ist das Buch keine langweilige, staubtrockene Arbeit, sondern bietet mitunter spannende Einblicke, auch durch bisher unveröffentlichte Fotos. Man erfährt viel darüber, wie erfolgreiches Geschäftsgebaren in früheren Zeiten funktionierte. Das geht los bei Georg Brey, der die Brauerei von 1818 an mit Geschick und gewiefter Taktik groß gemacht hat, über das Überleben des Betriebs in beiden Weltkriegen, geschicktes Management und Fehlmanagement, bis hin zu dem Zeitpunkt, als Löwenbräu im weltgrößten Brauereikonzern AB InBev aufging - als eine von mehr als 200 Biermarken. Dem vorausgegangen war der Niedergang der Löwenbräu AG von den Siebzigerjahren an, auch nach einer Neuausrichtung der Marke - das weiß-blaue Logo wurde vorübergehend türkis, selbst auf der Wiesn - blieb der Erfolg aus, vor allem in Deutschland. 1997 verlor der Löwe schließlich seine Selbständigkeit.
Besonders interessant unter den vielen Einblicken ist das Kapitel, das sich mit der Brauerei während der NS-Zeit beschäftigt. Unter Generaldirektor Hermann Schülein avancierte Löwenbräu in den Zwanzigerjahren (trotz der Prohibition im bis dahin wichtigen Exportland USA) zur bedeutendsten exportorientierten Brauerei Münchens. Besonders in Italien, der Schweiz oder Belgien reüssierte Löwenbräu. Doch der jüdische Unternehmer Schülein war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Eine Zeitlang wurde er wegen seiner geschäftlichen Fähigkeiten geduldet, doch von 1933 an wurde die Brauerei als "Judenbrauerei" diffamiert. 1935 musste er seinen Posten aufgeben und emigrierte in die Vereinigten Staaten. Dort trat Schülein in die Liebmann Brewery in New York ein - und machte diese zu einer der größten Brauereien der USA. Der Name der damals populären Biermarke: Rheingold. Und Löwenbräu schaffte nach dem Krieg den Wiederaufstieg zur deutschen Exportbrauerei Nummer eins - der aber in der Krise und dem Ende der Selbständigkeit endete.
Winkler beweist mit seinem Buch eindrücklich, dass sich aus Archiven viel mehr Geschichten über ein Traditionsunternehmen herausziehen lassen als nur Personalia und Zahlen. Und wer das Buch gelesen hat und den Löwen auf dem Oktoberfest künftig "Löööwenbräu" rufen hört, wird vielleicht fortan an mehr denken als an eine Mass Bier.
Richard Winkler, "Ein Bier wie Bayern - Geschichte der Münchner Löwenbrauerei 1818 -2003", Verlag Ph. C. W. Schmidt, 29,90 Euro.