Kritik:Wuchtige Virtuosität

Thomas Hengelbrock dirigiert die Münchner Philharmoniker, Alexandre Kantorow spielt Rachmaninows erstes Klavierkonzert.

Von Egbert Tholl

Sollte Matthias Ambrosius irgendwann einmal keine Lust mehr haben, Teil des großen Gefüges der Münchner Philharmoniker zu sein, dann nimmt er einfach die Jungs der kleineren Jazz-Combo der Philharmoniker und geht mit denen auf Tour. Die Band spielt nach dem Konzert im Foyer, die Stimmung ist wundervoll, Ambrosius singt mit seiner Klarinette, "Summertime" mit einer winzigen Prise Coltrane, Zwanzigerjahre Berlin, lässig.

Zuvor ist natürlich alles sehr seriös in der Isarphilharmonie. Thomas Hengelbrock beginnt mit der Ouvertüre von Wagners "Fliegendem Holländer", knetet sie dramaturgisch durch, erzählt damit die ganze Oper, durchaus disparat, bruchstückhaft, aber eben darum gelungen. Danach kommt ein toller Kerl auf die Bühne, Alexandre Kantorow, 25 Jahre alt, der Rachmaninows erstes Klavierkonzert so hemdsärmelig angeht, wie er gekleidet ist. Zu Beginn gleich ein wuchtiger Aufriss seiner Virtuosität, so ist alles geklärt, und er kann sich der Poesie, der, ach je, russischen Seele widmen. Rachmaninows Stück ist ein Musterbeispiel dafür, wie man komponieren kann, ohne ein erkennbares Ziel zu verfolgen. Der zweite Satz klingt genau so, wie man sich den Blick eines liebeswunden Menschen vorstellt, der auf einer langen Zugfahrt aus dem Fenster in die verschneite Taiga schaut. Alles, was hier passiert, ist determiniert vom Klavier, das Orchester ist nur symphonischer Echoraum, Kantorow ist ein Meister der Klarheit, nie, wirklich nie sentimental - eine Leistung bei dieser Musik. Zugaben von Schubert und Skryabin, auch nicht unbedingt Meisterwerke des Konstruktivismus'.

Nach der Pause Brahms' Erste, die Hengelbrock sympathisch, leicht, hell dirigiert, im Finale ein bisschen die Spannung verliert. Sein Problem: Christian Thielemann dirigierte die Symphonie oft bei den Philharmonikern, das waren einzigartige Triumphe, die man noch im Ohr hat. Egal, die Konzertmeisterin Naoka Aoki singt herrlich auf der Geige.

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