Süddeutsche Zeitung

"Das ist schön":Endlich ein Statement

Die Münchner Philharmoniker spielen das erste Konzert, in dem Valery Gergiev durch einen anderen Dirigenten ersetzt worden ist.

Von Egbert Tholl, München

Nicht einmal der aktuelle Schildbürgerstreich der Münchner Verkehrsgesellschaft hält die Leute davon ab, in Scharen zu kommen. Der Streich besteht darin, dass für drei Monate keine U-Bahn zwischen Implerstraße und Goetheplatz fährt, weil wieder einmal irgendwas repariert werden muss, die zur Isarphilharmonie gehörende Station Brudermühlstraße vom Norden her somit nicht erreichbar ist. Die Isarphilharmonie liegt eher im Süden der Stadt, von hier aus ist der Norden groß, und man fragt sich, warum man die U-Bahn nicht vor der Eröffnung des Areals auf Vordermann brachte. Aber Ignoranz gehört leider immer wieder zu den Tugenden städtischer Behörden.

Egal, die Menschen kommen mit Bussen oder zu Fuß, sie wollen Bruckners achte Symphonie von den Münchner Philharmonikern hören. Die sollte an diesem Abend Valery Gergiev dirigieren, das tut er nun natürlich nicht mehr, was dazu führte, dass 20 Karten zurückgegeben wurden. 20 von rund 1400.

In Windeseile haben die Philharmoniker prominenten Ersatz für Gergiev gefunden, sie sandten Notsignale in alle Richtungen; die Achte dirigiert nun Manfred Honeck, der zwar nur drei Proben hatte, aber sein eigenes Orchestermaterial mitbrachte. Das Konzert am Samstag wird Andris Nelsons leiten, wofür es noch Karten gibt, weil da zum ersten Mal wieder Vollbelegung erlaubt ist. Diese Dirigenten sind weit mehr als Ersatz, sie stehen als herausragende Künstler für sich.

Es ist viel geschrieben und geredet worden über die Causa Gergiev, über das Ultimatum, das ihm Oberbürgermeister Dieter Reiter stellte. Niemand hatte ernsthaft erwartet, Gergiev werde sich öffentlich von Putin distanzieren, er konnte es gar nicht, dazu ist die Verflechtung seiner Tätigkeit mit dem russischen Machtapparat zu eng. Aber diese Verflechtung ist nun einmal Fakt. Die Philharmoniker hatten sich geschlossen ein Statement von Gergiev gewünscht, es kam keines. Aber es gab einige wenig ruhmreiche Äußerungen von Gergiev, die man hier leider nicht wiedergeben darf, weil man sie offiziell gar nicht weiß. Nikolaus Bachler, ehemaliger Intendant der Bayerischen Staatsoper und jetzt Chef der Salzburger Osterfestspiele warf indes bei einer Pressekonferenz zu den Festspielen OB Reiter Scheinheiligkeit vor: "Herr Putin hat einen grässlichen Krieg vom Zaun gebrochen, aber ich halte es für absolut hypokrit, jetzt zu sagen: Wir waschen uns rein, indem wir den Mann rausschmeißen, den wir gerade noch unter den gleichen Bedingungen geholt haben."

Für die Öffentlichkeit schwieg Gergiev - und dirigierte offenbar am vergangenen Wochenende ein zweiteiliges Benefizkonzert in Moskau, mit dem Mariinski-Orchester, an dessen Ende Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung" standen. Das Werk endet mit dem Abschnitt "Das Heldentor (in der alten Hauptstadt Kiew)". Ob das Konzert stattfand, ließ sich beim besten Willen nicht bestätigen, aber es war angekündigt, auch auf russischen Webseiten, von denen manche der übleren Art Gergiev als Helden feiern, der auf den Erfolg im Westen verzichte und triumphal zurückkehre, weil das Vaterland in Gefahr sei. Gut, für solche Einschätzungen kann er selbst nichts. Aber er arbeitet fleißig weiter, wird mit dem Mariinski-Orchester Wagners "Ring" in Moskau aufführen, also nicht in seinem Stammhaus in St. Petersburg, sondern im Zentrum der Macht.

Nur: Das alles spielt an diesem Abend keine Rolle. Das Orchester spielt sich in der Isarphilharmonie bereits enthusiastisch ein, während das Publikum in den Saal strömt, die Aufführung ist dann denkwürdig. Honeck, ein österreichischer Gentleman mit einem Orchester in Pittsburgh, wirft sich in das Werk ohne jede Zurückhaltung, glättet nach einigen Minuten die Wogen, liefert mit den Philharmonikern einen ungeheuer klaren Bruckner ab, geht mit der alpenländischen Star-Wars-Musik des Schlusssatzes an die Grenzen der Akustik, erschafft im Adagio eine Schönheit, in der man verloren gehen möchte.

Der Applaus danach ist ein Statement. Das Publikum feiert das Orchester und den Dirigenten, die zusammen bewiesen haben, dass man keinen Gergiev braucht, um dessen Kernrepertoire brillant aufzuführen. Das Orchester feiert Honeck, Honeck feiert das Orchester. Das gibt Hoffnung für alles Kommende, das ist schön.

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