Münchner Philharmoniker:Die russische Schule

Valery Gergiev

Seit 1988 ist der Dirigent Valery Gergiev Chef des Petersburger Mariinski-Theaters.

(Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)

Wenn er Tschaikowsky, Prokofjew oder Schostakowitsch dirigiert, ist das ein Traum. In einem Jahr soll der russische Dirigent Valery Gergiev die Münchner Philharmoniker übernehmen. Aber er verehrt Putin. Ist das ein Kündigungsgrund?

Von Reinhard J. Brembeck

Der russische Dirigent Valery Gergiev, der in einem Jahr der neue Chefdirigent der Münchner Philharmoniker werden soll, hat aus seiner Begeisterung für den russischen Staatschef Wladimir Putin nie ein Hehl gemacht. Gergiev - er hat das auch im Gespräch mit der SZ ausführlich begründet - hält Putin für den einzigen Politiker, der Russland eine Zukunft geben kann.

Er hat Putin im Wahlkampf bei seinem Kaukasus-Feldzug dirigierend unterstützt, hat Putins Antischwulengesetz zumindest bagatellisiert, bei der Eröffnung von Putins-Olympia-Show mitgemacht und sich gerade in einem offenen Brief hinter Putins Krim-Politik gestellt. Gergiev ist derzeit nicht nur einer der berühmtesten Dirigenten weltweit, sondern der russische Staatskünstler par excellence.

Es gibt zwar zahlreiche prominente Künstler, die sich für allgemeine humanistische Ideale starkmachen, aber keiner von ihnen wirft sich so ohne Wenn und Aber einem Politiker in die Arme. Das macht Gergiev zu einem Sonderfall.

Lange Zeit hatte sich niemand an Gergievs Putin-Begeisterung gestört. Seit einem Dreivierteljahr ist das anders. Auslöser war Gergievs Haltung zu Putins Gesetz wider die Homosexuellen, von dem er sich nicht distanzierte, das er vielmehr als Kinderschutzmaßnahme herunterzuspielen suchte. Seine Auftritte in New York, London, München wurden deswegen von Protesten begleitet.

Jetzt hat sich die Lage verschärft. Gerade haben die Grünen im Münchner Stadtrat den Kulturreferenten Hans-Georg Küppers aufgefordert, den Dirigenten zum Gespräch zu laden: Wenn Gergiev sich nicht vom Künstler-Appell zugunsten der Krim-Politik Putins distanziere, sei er als künftiger Chef der Philharmoniker "nicht mehr tragbar".

Gergiev soll demnächst der bestbezahlte städtische Angestellte Münchens werden

Das alles ist normaler demokratischer Alltag. Der Promi Gergiev, 60, macht von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch, dagegen machen all jene mobil, die damit nicht einverstanden sind. Problematisch wird diese Auseinandersetzung erst, weil Gergiev demnächst der bestbezahlte städtische Angestellte Münchens werden soll und damit ein Aushängeschild der Stadt.

Einer Stadt, die stolzgeschwellt ihre Philharmoniker als "Das Orchester der Stadt" bewirbt. In dieser Logik wäre es deshalb schön, wenn auch der Orchesterchef ein Mann wäre, der für ihre (westlichen) Werte stünde. Gergiev ist das dezidiert nicht.

Gergievs Heimat ist das Petersburger Mariinski-Theater. Dort feierte er erste Triumphe, seit 1988 ist er dessen Chef. Im Gegensatz zu vielen russischen Musikern ist er nach Glasnost und Perestroika nicht gen Westen entschwunden, sondern hat das Mariinski zur russischen Hochburg der Klassik ausgebaut und dessen Orchester zu einem Spitzenensemble geformt.

Der Lohn für diese Treue blieb nicht aus, Gergiev bekam in Petersburg einen neuen Konzertsaal und ein neues Opernhaus. Der Verdacht ist oft zu hören, dass diese Ausstattung auch der Lohn für seine Russland-Putin-Treue gewesen sein könne.

Gergiev wird sie nie und nimmer aufgeben. Deshalb kommen erst an zweiter Stelle seine westlichen Engagements, ob in Rotterdam, Baden-Baden, an der New Yorker Met, beim London Symphony Orchestra oder in München. Im Westen gibt es viel mehr Geld zu verdienen als in Russland, und nur so kann sich Gergiev als einer der weltweit führenden Dirigenten beweisen - was wiederum seinen Marktwert in Russland steigert.

Als Aushängeschild der Stadt eignet sich ein solcher Künstler nicht. Aber da ist er in guter Gesellschaft. Auch seine Vorgänger James Levine, Christian Thielemann und Lorin Maazel sind das nicht (gewesen). Sie alle waren mehr auf das eigene Profil fixiert. Die als Bruckner-Orchester bewunderten Philharmoniker dienten Levine und Thielemann zudem als Lernorchester für die österreichisch-deutsche Sinfonik, das steigerte ihren Marktwert.

Ähnlich dürfte es sich im Fall Gergiev verhalten. Wenn er Tschaikowsky, Prokofjew oder Schostakowitsch dirigiert, dann ist das ein Traum. Bei der mitteleuropäischen Sinfonik sieht die Sache ganz anders aus, da ist er wie viele andere Dirigenten nur noch gut und eben nicht sensationell. Als er kurz nach seiner Münchner Berufung mit den Philharmonikern Bruckner machte, war das auf hohem Niveau enttäuschend, weil nichtssagend.

Gergiev ist nicht Putin, sondern nur dessen Fan

München ist, was die Symbiose zwischen der Stadt und ihrem ersten Dirigenten angeht, durch Sergiu Celibidache verwöhnt, der sich knarzig undiplomatisch einmischte und für sein Orchester kämpfte. Auch das war ein Sonderfall. Selbst Mariss Jansons, der sich neben dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auch noch das Amsterdamer Concertgebouw hält, ist in der Stadt durch sein unablässiges Werben für einen neuen akustisch optimalen Konzertsaal stark verwurzelt.

Und Kirill Petrenko wird nach nur wenigen Monaten an der Staatsoper bereits als beinahe einheimischer Musiker akzeptiert. Gergiev wird das nie sein, was manchen schmerzt. Zumal die Philharmoniker dank ihres breiten und relativ günstigen Angebots als das Volksorchester der Stadt weit vor den BR-Symphonikern und dem Staatsorchester liegen.

Das Unbehagen an Gergiev wird durch sein nicht nachlassendes Werben für Putin nicht gerade gemildert. Man muss kein großer Prophet zu sein, um zunehmende Verwerfungen zu ahnen, zumal, wenn Putin den Westen noch weiter reizt und Gergiev nicht zu ihm auf Distanz geht.

Daran aber werden der neue Münchner Oberbürgermeister und der Stadtrat irgendwann nicht mehr vorbeigehen können. Zumal der Posten des Philharmoniker-Chefs eben nicht nur ein künstlerischer Posten, sondern auch ein politischer ist. Wird sich die Stadt einen Putin-Freund leisten wollen?

Die Diskussion ist bereits voll entbrannt, und es gibt mehr als genug Moralapostel, die Gergiev schon jetzt für untragbar halten. Möglich, dass der Stadtrat diesem Druck und den kommenden Protesten nachgibt und Gergiev in die Wüste schickt. Doch das wäre der falsche Weg. Denn die Stadt würde aus einem wohlfeilen Demokratieverständnis heraus der Demokratie einen Bärendienst erweisen.

Der Stadtrat aber kann es sich nicht so leicht machen.

Gergiev hat nichts anderes getan, als was er seit Jahren tut, und er hat nichts Schlimmeres getan, als von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen. Wer das unerträglich findet, kann seinerseits von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen und dagegen auf die Straße gehen, Leserbriefe schreiben oder im Netz gegen Gergiev mobil machen.

Der Stadtrat aber kann es sich nicht so leicht machen. Er hat vor einem Jahr der Gergiev-Wahl zugestimmt, wohl wissend, dass es sich um einen Putin-Intimus handelt und dass diese Nähe zu Russlands Autokraten erhebliches Konfliktpotenzial mit sich bringen kann. Jetzt beginnt dieses Potenzial, seine Wirkung zu entfalten. Aber kann sich die Stadt jetzt als Gesinnungspolizei betätigen und einen Andersdenkenden einfach auf die Straße setzen?

Unter dem aufwühlenden Eindruck der Krim-Annektierung und anderer putinesker Unverfrorenheiten werden viele Scharfmacher die Frage bejahen. Das ist verständlich, aber kurzsichtig. Gergiev ist nicht Putin, sondern nur dessen Fan, und bisher hat er allein Lippenbekenntnisse und Ergebenheitsadressen von sich gegeben.

Wenn die Stadt Gergiev deshalb schasst, würde sie die Meinungsfreiheit beschädigen. Sie würde dann ebenso handeln, wie es Putin in ihrer Lage täte und zudem demokratische Grundgedanken mit den Füßen treten. Die Stadt wird es also, so schwer es auch fällt, aushalten müssen und auch können, dass Gergiev eine für viele im Westen unverständliche Haltung vertritt.

Gergiev andererseits wird damit leben müssen, dass seine offen zur Schau getragene politische Haltung Proteste nach sich zieht, die letztlich auch sein Künstlertum tangieren. Er allein hat es zu verantworten, dass seine Konzerte jetzt nicht nur musikalische, sondern immer auch politische Veranstaltungen sein werden. Ob das für einen sensiblen Künstler auf Dauer durchzustehen sein wird, ist offen bis fraglich.

Viel interessanter als die Frage, ob Gergiev für München noch tragbar ist, ist deshalb die Frage, ob Gergiev unter den gegebenen und durch ihn verursachten Umständen noch in der Lage sein wird, das zu tun, wofür er vom Orchester gewählt wurde: möglichst gut Musik zu machen. Das zu beurteilen dürfte den Sachverstand des Stadtrats überschreiten.

Letztlich wird Gergiev entscheiden müssen, ob er die Kraft hat, diesen dornigen Weg zu gehen, ob er sein politisches Engagement und seine musikalischen Ziele vereinbaren kann, oder aber daran scheitert. Bequem werden die nächsten Wochen und Monate nicht werden, erst recht nicht, wenn sich die Krise noch weiter verschärft. Für den 22. Mai ist Gergiev mit seinen Mariinski-Leuten für München angekündigt. Mal schauen, ob dieses Gastspiel überhaupt stattfindet.

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