Süddeutsche Zeitung

Münchner Philharmoniker:Gelassener Minimalist

Daniele Gatti ist ein faszinierend eigenwilliger Dirigent. Das bewies er jetzt in der Isarphilharmonie. Ob er damit allerdings Chancen hat, der neue Chef der Münchener Philharmoniker zu werden?

Von Reinhard J. Brembeck, München

Während viele Dirigenten vor Energie berstend ans Pult eilen, schlendert der 60-jährige Mailänder Daniele Gatti auf die Bühne der Münchner Isarphilharmonie. Um dann öfter mal die fabelhaft spielenden Münchner Philharmoniker nicht zu dirigieren. Dann lässt Gatti, der große Gesten meidet, die Arme sinken und hört den Musikern zu. Er weiß genau, dass nicht er die Musik spielt, sondern es als Chefanimator den Musikern ermöglicht, über sich hinauszuwachsen. Zudem liebt Gatti das Leise (wann schon spielt ein Orchester gut 80 Prozent des Programms im Piano?), die Klarheit, die Eleganz und eine visionär unterfütterte Intellektualität. Gatti ist ein nicht nur vom Führungsstil moderner Musiker, bei dem Emotion, Einsicht und Können mit der Musik atmen. Gatti ist ein gelassener Minimalist.

All das zeigt Gatti beim Auftakt der zwei Programme, mit denen die Philharmoniker jetzt nach Hamburg und Paris reisen, in Wolfgang A. Mozarts 29. Sinfonie. Gatti nimmt das Stück lächelnd ernst, er lässt mit Understatement virtuos spielen, er verzaubert, träumt, treibt Spaß und Unsinn. Das ergibt einen magischen Klassizismus fern des durch Herbheit Bedeutung behauptenden Ansatzes, den Nikolaus Harnoncourt für Mozart salonfähig gemacht hat. Genauso geht Gatti die Fünfte Sinfonie Dmitri Schostakowitschs an, geschrieben in Todesgefahr nach der Maßregelung durch die Stalinisten, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Krieg und Todesangst sind auch in Gattis Deutung omnipräsent, mehr aber noch Verzweiflung und Einsamkeit. Die dominieren hier, die Ausbrüche und Todesmärsche und Klangschlachten sind dann vergebliche Versuche, um dem verzweifelten Alleinsein zu entgehen.

Dieser Bruckner verbindet Kühnheit, Verzweiflung und Konstruktionswut

Max Bruchs berühmtes und von Renaud Capuçon makellos traditionell gespieltes Geigenkonzert nimmt sich da als Fremdkörper aus. Zumal Gatti in Anton Bruckners nur dreisätziger, weil unvollendeter Neunten immer wieder einmal die Musiker spektakelhaft heftiger marschieren lässt als bei Schostakowitsch. Das klingt, als würde eine ganze Welt klein geschlagen. Dagegen stehen die vielen Unheil kündende Klangflächen, in die Gatti mathematisch ausgezirkelte Kurzmotive wie abstrakte Zeichen eingraviert. Dieser Bruckner verbindet Kühnheit, Verzweiflung und Konstruktionswut. Er fasziniert, steht aber dezidiert nicht in der Tradition der Bruckner-Auslegungen der Philharmoniker und hat nichts mit den esoterischen Klangbeschwörungen Sergiu Celibidaches zu tun, denen noch der wegen seiner Putin-Nähe gerade geschasste Valery Gergiev huldigte. Deshalb ist es fraglich, ob der faszinierend eigenwillige Gatti Chancen hat, dessen Nachfolger zu werden.

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