Süddeutsche Zeitung

Münchner Opernfestspiele:Tosca - gegen den Schlächter verliert die Liebe

In New York ein "Skandal", in München eine brave, unentschiedene Oper: Puccinis "Tosca" in der Inszenierung von Luc Bondy. Aber da war ja noch der Sänger des Jahres 2009 ...

Hans-Jürgen Jakobs

Das ist auch mal etwas Schönes: Was in New York ein "Skandal" war, ist in München eine sommerlaue Angelegenheit, der allzu großen Erregung nicht wert. Nicht mal ein Skandälchen. Mein Gott, Tosca!

Der Schweizer Regisseur Luc Bondy hat die Puccini-Oper zuerst vor neun Monaten an der Metropolitan Opera inszeniert und damit am Montagabend im Rahmen der Opernfestspiele an der Bayerischen Staatsoper debütiert. Vergeblich wünschte man sich eine Art Knalleffekt, für den in Manhattan das ungehaltene Publikum und die wenig begeisterten Kritiker der New York Times gesorgt hatten.

Die amerikanischen Puritaner hatten sich beispielsweise an der freigelegten Brust gestört, die Mario Cavaradossi, der liebende Maler-Jüngling in der Oper-Oper, seiner Maria Magdalena auf die Leinwand geschaffen hat. In München ist das Bild mit dem angeblichen anzüglichen Detail durch das Dunkel des ersten Akts und ein Geländer weitgehend verdeckt, was wiederum symptomatisch für diese Aufführung ist: Ein bisschen Provokation wäre schön, aber so richtig haben wir uns nicht getraut.

Bloß nicht anecken, und doch nicht nur einfach gefällig sein, das ist eine schwierige Strategie. Bei diesem Kunststück gelangte Luc Bondy am Ende im Niemandsland. Er setzt ein paar schöne Tupfer, mehr nicht.

Da ist die Szene mit den drei Kokotten, die den dämonischen Polizeiminister Scarpia umschwirren, mit Reizwäsche und blauen Handschuhen und etwas nackter Haut. In New York blitzte ein Busen, in München bleibt alles züchtig bedeckt und wirkt doch wie eine mäßig unterhaltende, ein bisschen berlusconisch wirkende Einlage im sadistischen Spiel des Barons, dem es um Gewalt geht und um die brutale Verfolgung der Republikaner in Rom, denen der König in den Wirren der Napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts nachsetzt.

Diesen Scarpia spielt der Finne Juha Uusitalo mit bedrängender Konsequenz, ein Pol des Bösen, ein Fleisch gewordenes Prinzip der Staatsmacht, die zum Terror wird. Regisseur Bondy hat sich bei dieser Figur, die er im Schwarzstiefel-Faschisten-Look und als Glatzkopf auftreten lässt, vom berüchtigten Sowjet-NKWD-Intriganten Lawrenti Beria inspirieren lassen, doch das Politische ist in seiner Oper so weit weg wie die Sterne, die hinreichend besungen werden. Dem Regisseur geht es um Psychologie, um das Netz menschlicher Beziehungen, nur leider verfängt das Stendhal-Konzept nicht.

Gegen den schwarzlackierten Hegemon Scarpia hat die angeblich immer siegende Liebe keine Chance, jedenfalls nicht auf der realen Welt. Der durch und durch emotionalen Sängerin Floria Tosca verleiht die Finnin Karita Mattila alles in allem nicht jene Magie und jenes Stimmvolumen, die es für diese Oper braucht. Dieses Stück fordert Hingabe, Hinfließen, und nicht nur die behauptende Beschreibung von Liebe.

Regisseur Bondy hat die Szenerie von allem Opulenten, Buntem, Puccinesken befreit, weil es ihm um die Wahrheit der Gefühle geht, um die zwischenmenschlichen Geschichten mit Neid, Eifersucht, Liebe, Verrat. Doch am Ende wirken seine Protagonisten seltsam verloren in einem dunklen Kirchenraum oder vor Stadtgemäuer im Morgengrauen. Irrende, die ihre Kraft nicht finden.

Die Royalistin Tosca, in Liebe zum Republikaner Cavaradossi verfallen, darf diesen Zweispalt nicht wirklich zeigen. Die Puccini-Szene am Ende des zweiten Akts, in der sie den von ihr erstochenen Tyrannen Scarpia mit Kerzen illuminiert und ihm ein Kreuz auf den Leib legt, hat Bondy kurzerhand gestrichen. Da war ihm zu viel Bigotterie. Aber was hat er, bei aller Straffung, am Ende zu bieten außer einer weitgehend linienlosen Begleitung eines wunderschön flirrenden Singspiels?

Nach der New Yorker Ausführung hatte sich der Kollege Franco Zeffirelli über den angeblich "drittklassigen Regisseur" Bondy mokiert; der Italiener hatte 24 Jahre lang mit seiner Tosca-Inszenierung die Met geprägt. Sein Urteil ist sicherlich maßlos, der Zeffirelli-Bombast hatte tatsächlich eine moderne Wendung verdient. Nur ist Bondy auf halbem Weg stehengeblieben.

Für die wirklichen Höhepunkte des München-Premierenabends sorgte der gebürtige Münchner Jonas Kaufmann, der im vorigen Sommer in der Rolle des Lohengrin bei den Münchner Opernfestspielen brilliert hat. Der von Opernwelt zum besten Sänger 2009 gekürte Künstler gab den unglücklichen Cavaradossi mit bezaubernder Energie, eine große Stimme, die allein verzückte und über die Rätsel dieser Inszenierung hinwegsang.

Am Ende wird er allein vom Münchner Publikum bejubelt. Der Rest ist: Höflichkeit.

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