Münchner Olympiabewerbung:"Wer die Spiele will, muss ein paar Kröten schlucken"

Pk Olympiabewerbung München

Buttons als Werbematerial zur Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2022

(Foto: dpa)

Jede Grillwurst ist bei einem der ausgewählten Lieferanten einzukaufen: Kritiker werfen dem IOC vor, mit Gastgeberstädten Knebelverträge abzuschließen. Andere mahnen, nicht zu streng zu sein - sonst hätte es die Fußball-WM 2006 in Deutschland auch nicht geben dürfen.

Von Katja Riedel

Die Zumutung ist 57 Seiten dick. Als Zumutung hatte Oberbürgermeister Christian Ude das Vertragswerk bezeichnet, das sein Nachfolger möglicherweise unterzeichnen wird. Der "Host-City-Vertrag" ist ein juristisches Ungetüm. Begleitet von umfangreichen Zusatzverträgen und Handbüchern regelt es Planung, Ablauf und Finanzierung Olympischer Spiele. Unterzeichnen wird der neue Münchner OB es nur, falls die Bürger der Bewerbung am Sonntag zustimmen - und dann, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Sommer 2015 München den Zuschlag erteilt. Dass München unterschreibt, müsste die Stadt mit dem allerersten Bewerbungsdokument bekunden: mit der Zusage, die Olympische Charta zu akzeptieren, die genau das verlangt.

Jene, die Olympische Spiele ablehnen und das IOC als dunkle Macht sehen, führen den Gastgebervertrag als Beweis an für eine angeblich üble Geschäftspolitik des Sportverbandes. Sie sprechen von "Knebelverträgen". Und selbst jene, die sich darauf einlassen wollen, geben zu, dass der Host-City-Vertrag problematische Passagen enthält. So mussten vor Abgabe des Bewerbungskonzepts für 2018 sowohl der Münchner Stadtrat als auch die politischen Gremien in Garmisch-Partenkirchen sowie im Landkreis Berchtesgadener Land ein sogenanntes Eckdatenpapier absegnen. Darin gaben sie, wie auch der Freistaat und der Bund, umfangreiche Garantien ab, die in einem sogenannten Multi-Party-Agreement stehen.

In den Tischvorlagen für die politischen Entscheider war damals Kritisches zu lesen. "Gemessen am deutschen Rechtssystem sind Verpflichtungen in dem vom IOC gewünschten Umfang eigentlich nicht möglich", hieß es. Eine rechtliche Prüfung sei nicht zielführend, da der Vertrag nach Schweizer Recht ausgelegt werde und "wesentliche Elemente . . . nicht verhandelbar" seien. "Feststellen lässt sich aber, dass für zahlreiche Verpflichtungen, die die Landeshauptstadt München als zentrale Stadt der Bewerbung eingeht, aufgrund des deutschen Rechtssystems eine Zuständigkeit nicht gegeben ist." Hinzu komme, "dass die Bewerbungsdokumente sehr umfangreich sind und noch dazu noch jederzeit einseitig vom IOC abgeändert werden können".

Letzteres bestreitet der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB): Weder deutsches noch schweizer Recht sehe vor, einen unterschriebenen Vertrag einseitig zu ändern. Vorgesehen ist aber sehr wohl, Anweisungen später zu ändern. Dazu gehört auch das sportliche Programm, das heute noch gar nicht feststeht.

"Maximales Ausmaß an Verpflichtungen"

Verschiedene Juristen haben sich in den vergangenen Jahren mit dem Vertragswerk beschäftigt. Salzburg hatte sich für die Spiele 2010 und 2014 beworben - und auch dort hatten Juristen die Vertragsgestaltung seitens des IOC harsch kritisiert. In einem Schreiben an den Landeshauptmann erläuterten sie, den Host-City-Vertrag zeichneten vor allem zwei Merkmale aus: "ein maximales Ausmaß an Verpflichtungen und Verbindlichkeit" für die Ausrichter sowie "ein minimales Ausmaß an Verpflichtungen und Verbindlichkeit für das IOC". Es bestehe wenig Zweifel, dass "eine derartige Ansammlung von Einseitigkeiten zur Nichtigkeit einer solchen Vereinbarung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten" führen werde. Es folgen 80 Passagen des Vertragstextes, die die Juristen als problematisch einstufen.

Im Gastgebervertrag gewähren Städte umfangreiche Garantien. Zum Beispiel eine gesamtschuldnerische Haftung für sämtliche Verpflichtungen. Die Haftung gilt auch, wenn Schäden durch Dritte entstehen. Die gesamte Olympische Familie und deren Auftragnehmer werden frei gehalten. Sollten die Spiele nicht stattfinden, liegen beim Gastgeber ebenso sämtliche Verpflichtungen in unbegrenzter Höhe. Auch jegliche Steuern übernimmt der Gastgeber.

Das IOC bietet sich aber als Ratgeber an, der hilft, "unter vollständiger Ausschöpfung des gesetzlich zulässigen Rahmens Steuern zu vermeiden". Die Kommune sagt auch allerlei zu, was nicht in ihre Zuständigkeit fällt: Zum Beispiel garantiert sie allen Akkreditierten die Einreise, Mitarbeitern der Spiele Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse und stellt diese von sämtlichen Abgaben, Zöllen und Steuern frei.

"Keinerlei verbindliche Verpflichtung"

Sehr viel knapper fällt der Vertragsteil aus, in dem die Leistungen und Rechte aufgeführt sind, die das IOC dem Organisationskomitee (OK) und dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) gewährt. Immerhin dürfen die Gastgeber 80 Prozent eines möglichen Überschusses der Austragung behalten. 92,5 Prozent der Geldkomponente und 95 Prozent der Waren und Dienstleistungen darf das OK behalten, die aus dem Marketingplan und aus dem gemeinsamen Marketingprogramm in die Kasse kommen. Dies betrifft zum Beispiel den Verkauf von Maskottchen oder T-Shirts.

Gegenüber dem internationalen olympischen Marketingprogramm dürfte dies aber nur ein Klacks sein. In letzterem ist einer der eigentlichen Goldesel der Spiele enthalten: ein weltweites Lieferanten- und Lizenzprogramm. Es ist die Welt von Coca-Cola und McDonald's und deren Sponsorenvereinbarungen. Wie viel München aus diesen Lizenzen bekäme, lässt das IOC völlig offen. Dagegen verpflichtet sich die Stadt, den internationalen Sponsoren zu versichern, dass sie ihre "kommerziellen Zielsetzungen im Gastgeberland erreichen können". Deshalb muss das OK jede Grillwurst und jedes Getränk bei ausgewählten Lieferanten einkaufen.

Die andere wichtige Einnahmequelle - Übertragungsrechte für Rundfunk- und TV-Anstalten - verhandelt das IOC allein. Das OK verpflichtet sich, dafür die Infrastruktur kostenlos zu schaffen. Das IOC kann "in seinem eigenen Ermessen einen finanziellen Beitrag an das OK zahlen", jedoch besteht "keinerlei verbindliche Verpflichtung".

Olympiagegner haben den Vertrag 2011 rechtlich prüfen lassen. Mit Blick auf die Frage, ob die Stadt nach deutschem Recht einen solchen Vertrag überhaupt schließen darf, und ob die Aufsichtsbehörden - vor allem die Regierung von Oberbayern - nicht gegen Verstöße gegen die Bayerische Gemeindeordnung einschreiten müssten. Das Gutachten erstellte der Regensburger Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Gerrit Manssen. Manssen hielt den Host-City-Vertrag für einen "Knebelvertrag". Das IOC nutze seine Monopolstellung aus, was "teilweise groteske, den Vertragspartner einseitig belastende Regelungen" hervorbringe, die "jedem Anstands- und Gerechtigkeitsgefühl widersprechen". Insbesondere die finanziellen Folgen des Vertrages enthielten nach bayerischem Kommunalrecht genehmigungsbedürftige Elemente.

Der Münchner Oberbürgermeister handle als "Vertreter ohne Vertretungsmacht" - trotz Olympiagesetz, das der Landtag eigens verabschiedet hatte, und trotz des Multi-Party-Agreements. Manssen räumte jedoch ein, dass dies wohl folgenlos bleiben werde. Klagen könne nur die Regierung von Oberbayern - und das ist bei der politischen Entschiedenheit pro Olympia völlig unwahrscheinlich.

"Wir alle sollten das Votum respektieren!"

So geht auch die bayerische Staatskanzlei auf solche Fragen nicht ein. Im Innenverhältnis seien zwischen den Partnern der Olympiabewerbung Verantwortlichkeiten klar festgelegt, was dazu führe, dass München seine Zusagen erfüllen könne. Die Chefin der Staatskanzlei, Christine Haderthauer, beschwichtigt: "Wie bei jeder Ausschreibung gibt das IOC viele Punkte vor, damit sich alle Bewerber den gleichen Bedingungen stellen und die Bewerbungen miteinander vergleichbar sind." Die Entscheidung liege jetzt bei den Bürgern und nicht bei juristischen Gutachtern: "Wir alle sollten das Votum respektieren!"

Moderate Worte kommen auch von der sportpolitischen Sprecherin von Transparency International, Sylvia Schenk. Sie hält die Verträge insgesamt für weniger problematisch als Gegner dies anführen. Dass sich das IOC konkrete Ausgestaltungen offenlasse, sei normal bei einem Vorlauf von sieben Jahren, sagt sie. Der DOSB selbst spricht von "dynamischen Verweisungen". "Das sind ganz normale Auffangklauseln", sagt Schenk.

Im Detail kenne sie den derzeitigen Host-City-Vertrag nicht, sagt die Juristin. "Ich kann nur sagen: Hätten wir diese kritischen Maßstäbe vor der Fußball-WM 2006 angelegt, dann hätten wir in Deutschland keine WM gehabt." Damals war Schenk als Sportdezernentin in Frankfurt am Main mitverantwortlich. Dass amtliche Juristen derart kritisch über die Verträge urteilen, sei nicht unüblich, findet Schenk. "Juristen in Kommunen sind vorsichtig." Deren Aussagen bestätigten ja nur, wie öffentlich mit diesen Bedenken umgegangen werde. "Wer die Spiele will, muss ein paar Kröten schlucken."

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