Münchner Nahverkehr:Obacht, so wird man versehentlich zum Schwarzfahrer

MVV-Automat, U-Bahn am Marienplatz

Mancher Fahrgast fühlt sich vor einem Fahrkartenschalter wie vor einem einarmigen Bandit. Der Hauptgewinn: das richtige Ticket.

(Foto: Florian Peljak)

Es gibt viele Wege, um im Münchner Nahverkehr zum Schwarzfahrer zu werden - obwohl man ein Ticket hat. Sechs Beispiele.

Von Julia Haas

Falscher Stempel

Sie kaufte sich die richtige Fahrkarte und stempelte die richtige Anzahl Streifen. Trotzdem wurde die Münchnerin Helga Stadler zur Schwarzfahrerin. Stadler stempelte ihre Streifenkarte in Daglfing am Bahnhof und fuhr damit in die Innenstadt. Als sie am Marienplatz in die U6 stieg, wurde sie kontrolliert und bekam ein Bußgeld aufgebrummt. Warum?

Der Fahrscheinentwerter in Daglfing war offenbar defekt und hatte ihr nur Bruchstücke des Stempels auf die Fahrkarte gedruckt. Ein paar Tage nach Helga stempelte Ehemann Max Stadler am Marienplatz, auch hier funktionierte der Entwerter nicht richtig. Aufgefallen sei Max Stadler das nur, weil er das Problem von seiner Frau kannte. "Ich weiß doch nicht mal, wie so ein Stempel richtig ausschauen soll", sagt er.

Matthias Korte, Sprecher der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), verweist auf die geltenden Tarif- und Förderungsbestimmungen: "Fahrgäste müssen kontrollieren, ob ihre Fahrkarten vernünftig gestempelt sind." Wenn das nicht der Fall ist, müssen sie sich eine neue Fahrkarte kaufen oder neue Streifen stempeln. Im Regelfall gebe es ja an jeder Haltestelle oder in jedem Verkehrsmittel mehrere funktionierende Entwerter.

Das Geld bekommen die Kunden dann bei einem der Kundencenter zurück. Wichtig: alles muss dokumentiert werden. Korte empfiehlt: "Standort/Entwerternummer, Datum, Uhrzeit, Linie, gerne Handyfoto." Ob und wie oft die Entwerter auf ihre Funktionalität überprüft werden, weiß die Deutsche Bahn (DB) nicht. Helga und Max Stadler haben ihnen zumindest geholfen, zwei davon zu finden.

Mal entwertet, mal nicht

Wer in München ein Tagesticket kauft, muss aufpassen, vor welchem Automaten er steht. Aus dem MVG-Automaten kommen nur Tickets ohne Stempel. "In München war das auch immer Usus", sagt MVG-Sprecher Korte. Vielen Münchnern sei das sogar sehr wichtig, um Fahrkarten auf Vorrat kaufen zu können. In Bussen und Trambahnen ist das jedoch anders. Die Automaten dort geben die Fahrkarten schon entwertet aus. Die MVG begründet dies damit, dass der Kaufvorgang auf diese Weise schneller abgeschlossen werden könne und sich so in Bus oder Tram keine Fahrgastschlange vor den Automaten bilde.

Die Deutsche Bahn hat ihre Automaten 2012 umgestellt, auch dort erhalten Kunden bereits entwertete Tickets. Der Grund dafür: Deutschlandweit und international sei es üblich, dass Tickets nicht zusätzlich gestempelt werden müssen: "Gerade mit Zügen der Deutschen Bahn kommen viele Touristen und auswärtige Besucher nach München. Sie wurden oft zu unfreiwilligen ,Schwarzfahrern', weil sie es aus ihrem Wohnort gewohnt waren, dass am Automaten gelöste Tickets sofort gültig sind", so ein DB-Sprecher. Mit einem zusätzlichen Tastendruck könne man bei DB-Automaten aber auch nicht-entwertete Tickets des Münchner Verkehrs- und Tarifbunds (MVV) auf Vorrat kaufen.

Aber wäre eine einheitliche Regelung für Kunden nicht praktischer? Im Rahmen der Tarifstrukturreform will die MVG prüfen, ob sie bei ihrem System bleibt oder die Entwertung vereinheitlicht. Zur Sicherheit empfiehlt es sich bis dahin, einfach zu probieren, die Fahrkarten zu stempeln. Zumindest so lange die Entwerter funktionieren. Ein Sprecher der Bahn erklärte nämlich, die Tickets aus den DB-Automaten würden mit ihrem Format sowieso nicht in die Entwerter passen.

Schwieriger Anschluss

Angenommen ein Münchner wohnt in Gern und fährt jeden Tag zur Arbeit an den Rosenheimer Platz. Er kauft sich eine Monatskarte für die Ringe eins und zwei, denn alles, was er sonst noch braucht, liegt auch in diesem Bereich. Was macht er aber, wenn er keine Lust auf Stau hat und am Sonntag gerne mit der S-Bahn an den Starnberger See fahren möchte? Der Bahnhof Starnberg liegt in Ring neun. Muss er sich eine ganz neue Fahrkarte bis Starnberg kaufen? Bei MVG-Automaten gibt es seit Dezember 2017 ein Anschlussticket.

Die Bahnsteigkarte ist schuld

Die jeweiligen Ringe dazuzukaufen ist nämlich meist günstiger, als eine Einzelfahrkarte dazu zu stempeln. Doch Achtung, ältere Automaten ohne Touchscreen spucken keine Anschlusstickets aus, egal wie genau man das Menü durchstöbert: "Die älteren Modellen konnten technisch nicht aufgerüstet werden", erklärt die MVG. Also lieber mit dem Handy buchen, einen Automaten mit Touchscreen suchen oder gleich zu einem DB-Automaten gehen. Unter "Anschluss Zeitticket" müssen dann lediglich die zusätzlich benötigten Ringe eingegeben werden. Klingt ganz einfach, zumindest wenn man das Münchner Ringlabyrinth verstanden hat, das ab 2019 immerhin vereinfacht werden soll.

Nicht fahren, nur zahlen

Um im Münchner Tarifsystem zum Schwarzfahrer zu werden, muss man noch nicht einmal mit Bus, Tram, U-Bahn oder S-Bahn von einer Haltestelle zur anderen fahren. Gehen reicht schon, eigentlich stehen. Schuld daran ist die Bahnsteigkarte. Ein Ticket, das lediglich das Betreten von S-Bahn-Tunnelstationen wie Hauptbahnhof, Stachus oder Isartor und allen U-Bahn-Stationen erlaubt. Wer Bekannte zu Besuch hat und diese nicht am Hauptbahnhof zum Regionalzug bringt, sondern zur S-Bahn Richtung Flughafen begleiten möchte, braucht an manchen Stationen ein Bahnsteigticket, wenn er nicht sowieso eine gültige Fahrkarte hat.

Der Bahnsteig gehört zum fahrscheinpflichtigen Bereich. Sobald kurz vor den Treppen ein Schild mit "Zutritt nur für Fahrgäste mit gültigem Fahrausweis" von der Decke hängt, wird es gefährlich ohne Ticket. Sowohl MVG als auch Bahn wollen an der Bahnsteigkarte festhalten. Nicht etwa um Obdachlose davon abzuhalten, auf den Bänken in den Bahnhöfen zu nächtigen, sondern um besser kontrollieren zu können:

Nur mit einer Bahnsteigkarte bestehe die Möglichkeit für sogenannte "Vollkontrollen", bei denen gleichzeitig an allen Bahnsteigzugängen einer Station die Tickets der Fahrgäste überprüft werden, erklärt ein Sprecher der Bahn. Ob dabei jemand ohne gültige Fahrkarte die S-Bahn benutzt hat oder nur jemanden zum Zug bringen wollte, könne am Ausgang leider nicht mehr unterschieden werden.

Personalisiere mich!

"Kaufst du noch schnell eine Fahrkarte für mich? Ich komme ziemlich knapp, nicht dass wir die Bahn verpassen." Eine Fahrkarte für einen Bekannten zu kaufen, ist eigentlich kein Problem. Man drückt sie ihm in die Hand und schon gehört sie ihm. Bei Handytickets ist das etwas komplizierter. Der MVV veröffentlichte im März, dass bereits jede zehnte Fahrkarte online oder via Handy gekauft werde. "Handytickets gelten aber im Normalfall nur für die Person, die das Handy in der Hand hat", sagt ein Sprecher der Bahn.

Wer für jemand anderen eine Fahrkarte kaufen will oder eine Streifenkarte mit seinem Partner gemeinsam nutzen möchte, muss in der DB-App ein Häkchen setzen und denjenigen namentlich benennen. Bei der MVG-App kann momentan nur die Streifenkarte für Dritte personalisiert werden. "Aktuell überarbeiten wir das Konzept. Änderungen sind daher nicht ausgeschlossen", sagt MVG-Sprecher Matthias Korte. Wichtig sind diese Details vor allem für Eltern und ihre Kinder. Bei der DB-App dürfen Jugendliche ab 16 Jahren Fahrkarten kaufen, bei der MVG-App erst ab 18 Jahren.

Jugendliche buchen ihre Tickets deshalb oft über den Account der Eltern. Wenn Sie die Fahrkarten allerdings nicht auf ihren Namen personalisieren, gehört die Fahrkarte weiterhin ihren Eltern und die Minderjährigen fahren schwarz. Die Altersgrenze hat rechtliche Gründe. Die MVG will prüfen, "wie der Zugang für Kunden unter 18 Jahren ermöglicht werden kann".

Mitstempeln

Nicht nur auf dem Handy bereitet der richtige Umgang mit Streifenkarten Kopfzerbrechen. Auch offline gibt es Stolpersteine. Was ist zu tun, wenn man für jemanden "mitstempeln" will. Einfach mehr Streifen stempeln oder zweimal die Streifenanzahl stempeln? Die richtige Antwort lautet: gesondert entwerten. Würde bei mehreren Personen lediglich einmal gestempelt, könnte zum Beispiel ein Mitfahrer an einer Station vorzeitig aussteigen und der Inhaber die noch gültigen Streifen dann für eine weitere Fahrt benutzen, so MVG-Sprecher Korte. Wer auf der Suche nach einer neuen Abendlektüre ist: Wie zu stempeln ist, steht auch auf der Rückseite der Streifenkarte.

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