Süddeutsche Zeitung

Kritik:Osterüberraschung

Der Münchner Motettenchor bringt unter Leitung von Benedikt Haag das Passionsoratorium von Carl Loewe in der Matthäuskirche zur Aufführung.

Von Michael Stallknecht, München

Der musikalische Karfreitag: Das bedeutet in der Regel die Wahl zwischen den beiden Passionsvertonungen nach Matthäus oder Johannes von Johann Sebastian Bach. Beim Münchner Motettenchor heißt in diesem Jahr nur der Aufführungsort Matthäuskirche, auch einige Textpassagen in "Das Sühneopfer des neuen Bundes" stammen von dem Evangelisten. Aber mit dem Passionsoratorium von Carl Loewe beschreitet der künstlerische Leiter Benedikt Haag neue Wege (auch wenn Loewes Werk dank einer Aufnahme der Arcis-Vocalisten unter Thomas Gropper in München nicht gänzlich unbekannt ist).

Vor allem ältere Hörer dürften Loewe als Komponisten einst geradezu volkstümlicher Balladen kennen, deren Sinn für Dramatik auch hier zu spüren ist. Sicher: Die liedhafte Melodik ist nicht in jedem Moment inspiriert, und der reine Streichersatz, gespielt vom Residenzorchester München, war harmonisch schon 1847 nicht gerade Avantgarde. Aber Loewe wirft in zwei Aufführungsstunden eindringliche Schlaglichter auf zentrale Kreuzwegstationen, indem er sich im Aufbau aus Bibeltext, Chorälen und betrachtenden Arien an Bach orientiert. Die sängerische Hauptlast fällt dabei dem Bassbariton Jakob Schad zu, als Christus und Judas (!) in einer Person. Schad, gerade mal 21 Jahre alt, macht das fabelhaft, klingt rund und ausgewogen, flexibel und bei Bedarf auch dramatisch; nur in der Tiefe fehlen (noch?) ein paar Töne.

Auch sonst hat Benedikt Haag in der jungen Solistengeneration gut gewählt: Altistin Vero Miller gestaltet mit hoher Eindringlichkeit, Julia Duscher zeigt einen ansprechend glockigen Sopran, und dem Tenor Sascha Zarrabi gelingt mit prononciertem Mut zur Farbigkeit ein abgründiges Porträt des Pilatus. Die Stimmgruppen des Motettenchors klingen ausgewogen und vereinen sich an homophonen Stellen zum weichen Gesamtklang. Souverän im Aufbau und bedacht im Detail, steigert Haag die Interpretation bis zur finalen Szene unter dem Kreuz, in der auch Loewe mit einer eigentümlichen Mischung aus fahlen und elegischen Farben sein Bestes gelingt.

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