Münchner Momente:Zwei Gehörlose beim Blind Date

Am Münchner Flughafen verliert ein Mann seinen Koffer. Doch eigentlich sucht er etwas viel wichtigeres: die Liebe

Kolumne von Julian Hans

Ob die Errungenschaften der Moderne in erster Linie einen Fortschritt bedeuten oder einen Rückschritt, das liegt im Auge des Betrachters beziehungsweise ihres Anwenders, fortschrittlich auch "User" genannt. Zum Beispiel kann man viel und mit guten Argumenten über den Luftverkehr wettern, der das Klima verdirbt. Oder über das Online-Dating, das der Liebe die Romantik raubt und aus der Partnerwahl einen Bestellvorgang am Bildschirm macht. Mit gleichem Recht könnte man aber auch die Tatsache feiern, dass der Technik sei Dank Hindernisse überwunden werden und Begegnungen möglich sind, die ohne sie undenkbar gewesen wären.

Aus der Ballade von den Königskindern wissen wir, dass früher nicht einmal der Adel zueinander finden konnte, nur weil ein Meer die Liebenden trennte und eifersüchtige Zeitgenossen die Orientierungslichter löschten. Das ist heute einfacher, wenn auch nicht ganz problemlos, wie ein Vorfall am Münchner Flughafen zeigt: Dort war die Polizei am Montagmorgen auf einen Mann gestoßen, der seinen Koffer verloren hatte, aber eigentlich etwas viel Wichtigeres suchte: die Liebe.

Der gehörlose Amerikaner hatte im Internet eine ebenfalls gehörlose Frau aus Regensburg kennengelernt. Die beiden wollten sich endlich auch persönlich treffen, aber aus irgendeinem Grund hatten sie sich am Terminal verpasst. Die Mitarbeiter des Flughafens wussten auch keinen Rat, eine gehörlose Frau ausrufen zu lassen wäre wenig sinnvoll.

Die Fügung wollte es wohl, dass der Liebeswerbende seinen Koffer in einem Café vergaß, in dem er sich von seiner Suche ausgeruht hatte. Die Polizisten, die zu dem Gepäckstück gerufen wurden, konnten schließlich auch seinem Besitzer helfen und eine Telefonnummer der Regensburgerin ausfindig machen. Die saß bereits wieder im Zug Richtung Oberpfalz, als sie aber die SMS erreichte, nahm sie die nächste Verbindung zurück. Es war bereits später Abend, als sich die beiden zum ersten Mal leibhaftig auf der Wache der Bundespolizei trafen. Wer jetzt die Klimabilanz dieses Rendezvous ausrechnet, der hat wirklich kein Herz.

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