Münchner Momente:Zertifizierter Überdruss

Ein Hoch auf die ganzen gelieferten Lebensmittel-Kisten während der Corona-Krise. Doch wohin mit all den übrigen Kartoffeln?

Kolumne von Laura Kaufmann

Noch nicht allzu lange ist es her, ein paar Wochen nur, da galten Supermärkte plötzlich als der Stoff, aus dem Albträume gestrickt sind, als das Vortor zur Coronahölle. Man sah sich schon im Kreise der Familie Streichhölzer ziehen, wer als nächstes mit Maske und Handschuhen die sichere Wohnung verlassen musste, um heldenhaft Hefe und Klopapier zu besorgen. Eine Freude zumindest war das Einkaufen nicht, und so wurden die Anbieter von Biokisten zu Krisengewinnern. Ob Zutaten für ganze Mahlzeiten oder demeterzertifiziertes Gemüse, die Auswahl ist schier grenzenlos. Die Schwierigkeit bestand nur darin, einen Anbieter zu finden, der noch Kapazitäten hatte.

Ein paar Wochen vorgespult, ins Hier und Jetzt. Die wöchentliche Kistenlieferung war zum Highlight der Krisenzeiten geworden. Sorgsam wie ein Weihnachtsgeschenk wurde sie ausgepackt, neue Sorten bestaunt, Lieblingssorten bejubelt, die ewig gleichen Äpfel und Kartoffeln klaglos zur Kenntnis genommen. Neue Gerichte wurden kreiert, um Dinge zu verarbeiten, die sonst nicht unbedingt im Einkaufskorb gelandet wären, überraschende Hits wie Kohl aus dem Ofen wanderten gar ins dauerhafte Repertoire.

Nun geht langsam der Platz in der kleinen Stadtwohnung aus für all die Kartoffeln. Kartoffeln in den unterschiedlichsten Farbschattierungen und Größen, lila bis kükengelb, und leider auch Kartoffeln mit Trieben und schrumpelige Kartoffeln. Endlich ist der Sommer da, und mit dem Sommer ein Gefühl von schwer vermisster Leichtigkeit. Das Homeoffice ist auf den Balkon gezogen, und eigentlich ließe sich doch für heute Abend zum Grillen ein Kartoffelsalat machen. Nur ist es doch wieder eilig, jemand hätte die Kartoffeln kochen müssen, der Abend wurde schön, leicht, bierselig und kartoffelfrei. In der Wohnung wieder ein paar schrumpelige, austreibende mehr, eine Verschwendung von Demeterzertifizierungen. Und so wächst das schlechte Gewissen mit jedem Parkplatzterrassenbesuch, mit jeder Portion Spaghetti Vongole statt heimischem Ofengemüse mit Feta. Die Kiste aufgeben ginge, aber was, wenn zweite Welle, Aufnahmestopp? Das kurzarbeitgeplagte Konto stöhnt. Wohl dem, der Kinder hat, und beim ersten Regentag nebst Kartoffelauflauf wenigstens noch Kartoffeldruck anbieten kann. Demeterzertifiert, versteht sich.

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