Münchner Momente:Von Muße und Gemüse

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Manchmal hilft in der Schlange vor der Supermarktkasse nur noch Fatalismus und der Ruhepuls eines tibetischen Mönchs

Kolumne von Udo Watter

Wenn die Münchner Sonne die Stadt samt ihrer bayerisch-italienischen Grandezza in dieses warme südliche Licht taucht und die Isar mit ihren Kieselstränden um die Wette funkelt, dann zeigt sich wieder mal, wie suboptimal es ist, da zu leben, wo andere Leute Urlaub machen. Oder Naherholung.

Können denn all diese Menschen, die aus Mangel an Fantasie jeden Sommerabend zum Flaucher strömen und sich dort am Isarstrand als urbane Hedonisten inszenieren, sich ihren Einweggrill, ihren Sprizz und ihr Augustiner nicht schon vorher besorgen? Und uns, den Einheimischen, einen stressfreieren Feierabend-Einkauf ermöglichen? In dem Supermarkt an der Thalkirchner Brücke jedenfalls wuselt's und staut's sich mal wieder in allen Gängen, es ist eine diffuse Melange aus luftig gekleideten Menschen mit tätowierten Oberarmen und braunen Schultern, eine Klangkulisse aus brüchigen und kieksenden Stimmen, die zwischen "Mega" und "Oida" changieren oder die Frage der richtigen Biermarke diskutieren.

Als der Einkaufskorb voll ist, erweist es sich als einigermaßen diffizil, überhaupt das Ende einer der vier Kassenschlangen zu erreichen, die sich teils um Bierkästen und andere aufgetürmte Produktangebote winden. Dann vergehen die Minuten. Ein amerikanischer Mittvierziger, der gerade vor uns die Kasse erreicht hat, redet mit charakteristischem Akzent sowie ohne Pause und akustische Zurückhaltung auf seine Begleitung ein. "It's like... you know... it's like". Dass Amerikaner (und spanische Frauen) immer so ein lautes Organ haben müssen. Die Pflaumen, die er kaufen will, muss er allerdings da lassen. Die Kassiererin räumt sie zur Seite, in einen Bereich, wo schon anderes herrenloses Obst und Gemüse liegt.

What the heck ist hier los? Aha, an dieser Kasse kann momentan nicht gewogen werden, heißt es. Schön, das jetzt zu erfahren. Man wäre ja nur als übernächster dran gewesen und hat einen Haufen Gemüse und Bananen im Korb. Nun, hilft ja nix. Dann sich halt ans Ende der Schlange rechts daneben stellen. Quasi ganz hinten wieder von vorne anfangen. Oder hat jemand den Edelmut zu sagen: "Gehen Sie ruhig vor, Sie warten ja eh schon so lange"? Einen geschmeidig einfädeln lassen wie am Autobahnende Eschenlohe? Nö.

Fatalistisches Einverständnis senkt sich in die Seele. Mit dem Ruhepuls eines tibetischen Mönches, der sich an der Sprachrhythmik von Muße und Gemüse erfreut, lässt sich die erneute Warterei ganz gut aushalten - ehe schließlich alles gewogen, für gut befunden und bezahlt ist. Beim Seitenblick zur bis dato nicht mehr beachteten Kasse links fällt auf, dass die Frau, die schon vorher in der Schlange vor einem stand, immer noch an derselben Position ist. Sapperlot. Da ist seitdem gar nichts mehr vorwärts gegangen und an der unglücklichen Malefizkasse inzwischen noch mehr defekt als nur die Wiegefunktion. Murphy's Law? Not in my house, persönlich widerlegt. Life is a beach near the Flaucher.

© SZ vom 24.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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