Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Von Italien lernen

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In Rom reden die Menschen in den Kaffee-Bars miteinander, in München sprechen viele nur in ihre Handys hinein. So zumindest war das bisher. Nun aber zeigen die Schülerdemos auch hier Wirkung

Kolumne von Philipp Crone

Die Sprache ist es nicht mehr, auch nicht die Kaffee-Qualität, die München, vielbesungene nördlichste Stadt Italiens, vom Stiefelland unterscheidet. Denn es gibt mittlerweile Orte im Zentrum, al centro, in denen ausschließlich Italienisch gesprochen wird, etwa in der Schrannenhalle. Außerdem ist die Stadt zu einem Ganzjahresreiseziel für Italiener geworden, seit man das ganze Jahr in Tracht herumlaufen und Großbier trinken darf. Und der Kaffee, nun, den richtig guten originalen caffé können nur noch Experten vom hiesigen unterscheiden. Ein Unterschied zwischen Italien und München aber, den gibt es noch: Es ist die Mentalität der Menschen.

Eine Kaffee-Bar in Rom: Wildfremde Gäste stehen an der Theke. Nach handgestoppten sieben Sekunden entspinnt sich ein Gespräch. Das Thema? Eigentlich egal. Fußball beispielsweise geht immer. Totti oder Klose? Das sind so die Fragen, die verhandelt werden. Dagegen eine Kaffee-Bar in München: Wildfremde Gäste an der Theke. Nach handgestoppten 70 Sekunden hat immer noch niemand geredet, zumindest mit niemand anderem, höchstens eine Sprachnachricht ins Handy gemurmelt. So zumindest war es bislang oft. Nun aber tut sich etwas.

Ein sonniger Mittag in einer Bar am Rindermarkt: Eine Frau bewacht ihren Cappuccino, der auf einem der Terrassentische steht. Schüler eines Innenstadt-Gymnasiums gehen vorbei, samt ihrer Eltern. Sie kommen von einem Stand, den sie in der Fußgängerzone aufgebaut hatten und tragen eingerollte Plakate bei sich. "Worum ging's?" Die hingeworfene Frage löst einiges aus: Alle kommen ins Ratschen, nicht nur über Entwicklungshilfe - um die es ging -, schnell kommt die Sprache auch auf die Fridays for future. Die Mütter berichten, wie an den Schulen ihrer Kinder die Mitmachbereitschaft für die Freitagsdemos ist (im Innenstadt-Gymnasium eher mau). Man überlegt, wann die Demos zu einem Bildungsproblem führen, ist sich einig, noch nie so engagierte Schüler erlebt zu haben, bis sich sogar ein weiterer Gast einmischt. All das erinnert nun wirklich an Italien: An die Zuversicht, dass man nicht schief angeschaut wird bei einer unvermittelten Einstiegsfrage, sondern dass Wildfremde selbstverständlich ins Gespräch finden.

In Italien ist die Fridays-for-future-Bewegung übrigens ebenfalls groß. Wie intensiv darüber wohl gerade in den römischen Bars diskutiert wird?

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Quelle:
SZ vom 09.04.2019
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