Münchner Momente:Und der Nietnagel Award geht an...

Der virtuelle Schulunterricht eröffnet bisher ungeahnte Möglichkeiten - um Streiche zu spielen und Quatsch zu machen

Glosse von Julian Hans

Beim Klagen über das Homeschooling ist ein Aspekt bisher erstaunlicherweise ganz vergessen worden: der Schülerstreich. Schließlich ist die Auflehnung gegen Autorität und Obrigkeit für viele junge Menschen eine Hauptmotivation, um morgens überhaupt aus dem Bett zu kommen. Noch dazu wenn diese kindliche Rebellion im geschützten Rahmen eines wohlwollend pädagogischen Umfelds stattfinden darf. Man geht hin, um Quatsch zu machen, und lernt dabei aus Versehen nebenher noch etwas.

Was hätte Pepe Nietnagel, der legendäre Paukerschreck und Lümmel aus der ersten Bank, wohl im Homeschooling gemacht, wenn er keine Eimer mit Wasser von der Tafel auf den Studienprofessor Blaumeier herabstürzen lassen kann? Im virtuellen Klassenzimmer ließe sich auch schlecht jene Verbindung zwischen dem Häkelkleid von Dr. Mathilde Knörz und dem Ventilator herstellen, welche die Studienrätin vor der Klasse entblößte.

Wie aus gut informierten Kreisen zu vernehmen ist, eröffnet die Technik heute aber auch neue Möglichkeiten: So soll eine Biologie-Lehrerin eines angesehenen Münchner Gymnasiums kürzlich eine Standpauke ohne Ton gehalten haben, nachdem ein Schüler sie im Videochat stumm geschaltet hatte und niemand aus der Klasse etwas verriet. Lehrer, die Schüler um Hilfe bitten, um den Bildschirm freizuschalten, bekommen die Tastenkombination empfohlen, die das ganze Programm beendet und damit auch den Unterricht. Im Internet kursieren Tipps, wie Schüler sich selbst als aufmerksame Teilnehmer filmen können, um diese Aufnahme in künftigen Schulstunden abzuspielen, während sie in Ruhe ausschlafen. Das hätte eigentlich einen Nietnagel Award verdient.

Wie in der Lümmel-Serie aus dem Jahr 1969 sind auch heute die Bemühungen des Lehrkörpers am amüsantesten, angeknackste Autorität zurückzugewinnen. So hat ein anderes Münchner Gymnasium eine Liste mit strengen Regeln für Videokonferenzen verfasst. Aufzeichnungen und Bildschirmfotos dürfen nicht gemacht werden. Chatten ist im Unterricht verboten. Offen bleibt allerdings, wie diese Regeln überwacht werden sollen. Denn eine weitere Regel besagt, dass sich während Videokonferenzen niemand anderes im Raum aufhalten darf, auch nicht die Eltern. Sie können unter Beachtung des Datenschutzes höchstens versuchen, durch die geschlossene Tür zu erziehen.

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