Münchner Momente:Segensreiche Flüstersongs

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Es gibt Orte, die würde man lieber ohne Musik besuchen - Konzerte von Helene Fischer zum Beispiel. Ein Künstler hat seine ganz eigene Methode. Die könnte auch auf Weihnachtsmärkten funktionieren

Kolumne von Stephan Handel

Der unvergleichliche André Heller hat dem ebenfalls unvergleichlichen Magazin "Falter" aus der ganz und gar unvergleichlichen Stadt Wien ein Interview gegeben und in diesem erzählt, dass er früher, als er noch live aufgetreten ist, manchmal während eines Konzerts ins Publikum ging und einer Dame seiner Wahl ein Lied ins Ohr gesungen hat, so dass nur sie es hören könnte - eingedenk seiner bekanntesten Liedzeile: Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.

Heller gesteht in dem Interview, dass diese Aktion etwas mit den Drogen zu tun hatte, die er seinerzeit regelmäßig zu sich nahm - aber sie hat auch nüchtern betrachtet durchaus etwas für sich. Es gibt zum Beispiel Leute, die gerne mal eine Show von Helene Fischer oder von Rammstein anschauen würden - wenn nur die Musik nicht wäre. Wenn nun Helene respektive Till im Publikumsbereich herumgingen und den Menschen, die das wollen, "Atemlos" oder "Du hast" in den Gehörgang keuchen, dann könnten die anderen ohne akustische Belästigung das Geschehen auf der Bühne verfolgen, gutaussehende Tänzer, Feuerzauber, das ganze Pipapo.

Um wie viel mehr noch könnte der Flüstersong seine segensreiche Wirkung entfalten in Situationen, in denen sich Menschen nicht freiwillig und gegen Geld der Beschallung aussetzen, sondern wo sie dazu gezwungen sind: Wenn auf den Christkindlmärkten die Stände Kopfhörer bereithalten würden für jene, die ohne "Leise rieselt der Schnee" keine angemessene Weihnachtsstimmung erreichen, während sich die anderen in aller Ruhe am Glühwein berauschen können. Wenn im Wiesnzelt das Dirndl-Madl herzig den Sänger anschmachtet: Sing mir leise ein Prosit ins Ohr. Das würde gewiss eine Verbesserung im menschlichen Miteinander bewirken, und wer sich nicht sicher ist, ob er das wirklich möchte, kann sich immer noch auf einen anderen unvergleichlichen Satz aus dem Heller-Interview zurückziehen: "Ich kenne mich noch nicht gut genug, um diese Frage zu beantworten."

© SZ vom 22.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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