Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:München braucht den Luftikuss

Bussibussi? Ellbogencheck? Faustgruß? In der Stadt ist wegen Corona ein großes Begrüßungs­durcheinander zu beobachten. Nur die naheliegendste Form wählt irgendwie keiner

Kolumne von Philipp Crone

Bislang war die Zahl immer klar: zwei. Beim Überfahren der Stadtgrenze Münchens und der Begegnung mit einer zum Beispiel flüchtig vor Jahren auf einer Rooftop-Party von Weitem zugewunkenen Bekanntschaft sind es zwei Küsse, links, rechts, fertig. Bussi, Bussi. Klar. So war es. Derzeit, in dieser Phase, da man wieder Menschen treffen darf, entstehen Begrüßungsirrungen, wie man sie in Frankreich als Eingereister nicht besser erleben könnte. Während es bei den Nachbarn fast traditionell an der richtigen Anfangswange und der Gesamtzahl der bise scheitert, so muss man nur auf eine Münchner Hinterhoffeier dieser Tage blicken, um beinahe pantomimische Duelle zu bewundern.

Es gibt etwa derzeit das Fernumarmen, eine Art gegenseitiger Haltegriff, der aussieht, als hätten beide Protagonisten seit Tagen kein Deo benutzt und merkten das in diesem Moment. Andere hauen sich die Ellenbogen mittlerweile so routiniert aneinander, dass blaue Flecken bleiben. Interessanterweise tendieren bei den Ellenbussis die Münchner nach klaren subjektiven Eindrücken zum rechten Arm. Der klassische Faustgruß, fist bump genannt, ist selbstverständlich noch immer en vogue, mittlerweile wieder fast eingeholt vom uralten Abklatschen. Andere wiederum gehen nach einem kurzen Zögern bereits wieder zu Bussibussi über. Das Zögern entsteht meist dadurch, dass man überlegen muss, wie oft man mit der Person nun Kontakt hatte in der letzten Zeit.

Das Schwierigste ist allerdings gar nicht, in der kurzen Zeit des Aufeinanderzugehens erstens die richtige Begrüßung zu wählen und zweitens auf eine eventuell bereits in Gang gesetzte Begrüßung des Gegenübers gut zu reagieren. Das Schwierigste ist vielmehr, sich am Ende eines Hinterhof- oder sonstigen Abends beim Verabschieden an all die Begrüßungen zu erinnern und sich von jedem wieder so zu verabschieden, wie man ihn begrüßt hat. Vielleicht kann man sich ja aber auch bis auf Weiteres auf ein allgemeines Bussibussi-Winken einigen, eine Art Luftikuss.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2020
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