Münchner Momente:Keine S-Bahn, kein Chaos

Fast hätte es keiner gemerkt: Die Stammstrecke war am Wochenende gesperrt, die Stadt aber ist trotzdem voll

Kolumne von Stephan Handel

Übrigens ist am Wochenende die S-Bahn nicht gefahren, wegen Bauarbeiten, aber fast hätte es niemand gemerkt: Die Fußgängerzone war am Samstag so voll wie immer, die mehr als 20 000 Menschen bei der "Langen Nacht der Museen" machten auch nicht den Eindruck, als seien sie von der beschwerlichen Anreise über die Maßen entkräftet. Die Tram 19 war abends etwas voller als üblich, und nicht alle jungen Leute sind - wie sonst - an der Haltestelle "Am Lokschuppen" ausgestiegen, weil's da zur Nachtgalerie geht. Keine Spur von Chaos also, obwohl ein Verkehrsmittel ausfiel, das sonst täglich eine gute Dreiviertelmillion Menschen von hier nach da fährt.

In heutigen Zeiten, wo jeder ständig irgendwo hin muss, wird das leicht übersehen - dass Städte ursprünglich nicht dazu erfunden wurden, möglichst schnell durchquert zu werden, sondern genau für das Gegenteil: Wer eine Wüste passiert hatte oder den dunklen Wald, in dem ja bekanntlich die Räuber lauern, der war froh, wenn er eine Stadt erreichte, denn dort gab es Schutz, Ruhe, eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf. Städte sind Stopp-Punkte der menschlichen Mobilität, zum Schlafen, Wohnen, Handeltreiben braucht es Siedlungen, seit die Menschen aufgehört haben, nomadisch umherzuziehen.

Natürlich hat sich einiges geändert, seit vor ungefähr 7000 Jahren ein paar Sumerer beschlossen, ihre Häuser nahe beieinander zu bauen und sesshaft zu werden. Von Ost nach West misst München gut 25 Kilometer, ohne öffentliche Verkehrsmittel würde die Stadt heute nicht mehr funktionieren. Aber wenn dann die S-Bahn mal nicht fährt, geht es plötzlich doch, wenigstens für ein Wochenende. Und fast hätte es niemand gemerkt.

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