Münchner Momente:Hauptsache laut

Der ADFC empfiehlt Radlern, vor dem ersten Fahren das Bremsen zu üben. Das könnte bei mancher politischen Forderung auch nicht schaden

Kolumne von Stefan Simon

Dass man das Fahrradfahren nicht verlernt, ist ein Spruch, der älter ist als der Beweis, den Neurowissenschaftler dafür gefunden haben. Wer sich nach längerer Zeit mal wieder aufschwingen möchte, muss einfach nur tief genug in sich gehen. Egal, wie schlecht das Gedächtnis sonst auch ist, in der linken Hemisphäre des Parietallappens und in den Basalganglien wird man meistens fündig. Aufsteigen, strampeln, nicht umfallen, absteigen. Was nicht heißt, dass es auch nur einen vernünftigen Grund gibt, das auch zu tun. Gewiss, Einstein soll auf dem Rad der entscheidende Gedanke für die Relativitätstheorie gekommen sein. Aber wenn man ehrlich ist, sind die meisten, denen man auf Münchens Radwegen begegnet, von einem Nobelpreis weiter entfernt als die Milchstraße vom Schwarzen Loch in ihrer Mitte.

Und so ist es beinahe unausweichlich, dass mit der Zahl der Radler auch jene der Gebote und Verbote steigt, die das velozipede Miteinander regeln. Neue Radwege kann man per Bürgerentscheid erwirken, die Vernunft derer, die sie nutzen, dagegen nicht. Der Stadtrat muss sich deshalb mit Anträgen befassen, die es so in Bezug auf Fußgänger, Autofahrer, Bus- und Bahnpendler nie geben könnte. "Das Mobilitätsreferat soll eine Werbekampagne konzipieren, die es sich zum Ziel setzt, die Akzeptanz des Klingelns von Fahrradfahrern im Straßenverkehr zu verbessern", fordert die AfD. Wird beim Überholen öfter gebimmelt, gibt es weniger Unfälle, so die Idee, und wer angeklingelt wird, der soll sich nicht so haben. Das ganze Dilemma der Partei spiegelt sich in diesem Antrag. Hauptsache laut, und die anderen sollen mal schön still sein.

Doch damit nicht genug. FDP und Bayernpartei wollen gemeinsam eine "Kampagne für sicheres und rücksichtsvolles Radeln ins Leben (rufen) ähnlich wie die Aktion ,Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen'". Darauf muss man erst einmal kommen: die unerträgliche Gewalt gegen Frauen auch nur irgendwie in die Nähe der durchaus erträglichen Zustände auf Münchens Radwegen zu rücken. Offensichtlich hat jemand beim Formulieren dieses Antrags die geistigen Stützräder zu früh abgeschraubt. Deshalb ein Tipp: Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub ADFC empfiehlt generell, vor dem Fahren das Bremsen zu üben. Das kann bei der ein oder anderen politischen Forderung sicher auch nicht schaden.

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