Münchner Momente:Geheime Mächte

Glücklicherweise sind Münchens Taxler nicht die zuverlässigsten Geheimnisträger. Das macht die Fahrten nicht nur unterhaltsam, sondern mitunter sogar politisch entscheidend

Kolumne Von Thomas Anlauf

Der Münchner Taxler ist bekanntlich der Friseur der Straße. Der Kunde kann bei ihm den kleinen Weltschmerz abladen, der Fahrer hört wahlweise geduldig zu oder gibt praktische Ratschläge. Eines darf man vom Taxifahrer allerdings nicht unbedingt erwarten: Verschwiegenheit. Schon dem nächsten Fahrgast kann es passieren, dass er ungewollt von den Sorgen seines Vorgängers im Fond des Taxis erfährt. So plauderte vor wenigen Tagen ein Chauffeur über einen Kunden, den er zuvor von der Sparkassenstraße aus nach Hause fuhr. Dieser habe ihn um Rat zu einem kniffligen Problem gefragt: Solle er, der Fahrgast, in Corona-Zeiten Christkindlmärkte erlauben oder nicht? Es ist nicht überliefert, was genau der Taxler dem grübelnden Kunden riet. Einen Tag später stand jedoch so oder ähnlich in der Zeitung: Oberbürgermeister Dieter Reiter will Christkindlmärkte erlauben, am besten bis zum Frühlingsanfang.

Mag sein, dass dieses Gespräch niemals stattgefunden hat. Münchner Taxler sind nämlich manchmal auch mit einer blühenden Phantasie gesegnet. Aber nur mal angenommen, die Geschichte stimmt: Da säße der grübelnde Reiter als oberster Münchner in einem Taxi und ließe sich vom Fahrer erklären, was er zum Wohl der Stadt zu tun und zu lassen habe. Er würde nicht auf seine Experten in der Stadtverwaltung hören, nicht auf die Einflüsterer aus seiner SPD-Fraktion. Nein, zwei Männer in einem Taxi machen auf der Fahrt große Politik.

Das klingt nach großem Kino, wie in Jim Jarmuschs "Night on Earth". Im Film kutschieren Taxifahrer irgendwo auf der Welt durch die Nacht und haben die skurrilsten Begegnungen. Der New Yorker Taxler Helmut (Armin Mueller-Stahl) etwa trifft auf Yoyo (Giancarlo Esposito), der Helmut zeigt, wie man Taxi fährt: Der Fahrer wird schließlich zum Beifahrer. Gar nicht auszudenken, wer in München die Stadtgeschicke lenken könnte.

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