Münchner Momente:Freundschaftsopfer der Flammen

Bei Carlos gefürchtetem Grillfest kommt es regelmäßig zur Abspaltung, wo sonst Harmonie herrscht, brechen plötzlich Fronten auf. Das Feierverbot schien daher ein Geschenk des Himmels zu sein - doch nun: Lockerungen. Entsetzlich!

Kolumne von Wolfgang Görl

Natürlich freuen sich jetzt alle, dass demnächst wieder Hochzeiten, Beerdigungen oder Geburtstagsfeiern stattfinden können, aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere, finstere Seite ist, dass Freund Carlo nun doch sein gefürchtetes Grillfest veranstalten darf. Dabei hatte es lange Zeit so ausgesehen, als würde Söders strenge Corona-Politik sämtlichen Grillpartys den Boden entziehen, was in Einzelfällen bedauerlich gewesen wäre, nicht aber, was Carlos Grillerei betrifft. Jeder, ob Freund oder Freundin, hatte innerlich gejubelt, als Carlo in einer Videokonferenz Anfang Mai mit tränenerstickter Stimme verkündete, sein Fest werde wohl dem Virus zum Opfer fallen. Klar, es gab herzergreifende Beileidsbekundungen, aber in der anschließenden Telefonschalte, zu der Carlo nicht geladen war, kam man überein, die Absage in einer versteckten Berghütte ordentlich zu begießen. Und jetzt das: Söder fällt um. Von nächster Woche an sind Grillfeste wieder erlaubt. Carlo hat die Einladungen schon abgeschickt.

Nun ist es keineswegs so, dass Carlo nicht grillen könnte, im Gegenteil. Bei den Grillmeisterschaften seines Motorradclubs belegte er vor Jahren einen ehrenvollen fünften Platz in der Kategorie Schweinswürstl. Auch sonst fehlt es an nichts, schon gar nicht am Bier, und dennoch hat sich gezeigt, dass die Grillparty einen Keil in den Freundeskreis treibt. Auf der einen Seite stehen die Fleischesser, auf der anderen die Vegetarier und ihr fundamentalistischer Flügel, die Veganer. Bei Carlo trafen sie zusammen, und in den ersten Jahren ging das noch gut. Die Fleischfraktion grillte ihre Koteletts und Steaks, die Gemüsefreunde legten Zucchini und Tomaten auf den Rost. Doch diese friedliche Koexistenz wich einer zunehmenden Radikalisierung. Zunächst erklärten es beide Seiten für unerträglich, dass Fleisch und Gemüse nebeneinander lägen, woraufhin Carlo einen zweiten Grill anschaffte. Dann kam es zur Abspaltung mehrerer Frauen, die generell nicht mehr dabei sein wollten, wenn Tiere gegessen werden. Und als die verbliebenen Vegetarier mit Tofuschnitzel ankamen, räumte die Neigungsgruppe Fleisch unter Protest das Feld.

Merkwürdigerweise brachen die Fronten immer nur beim Grillfest auf, den Rest des Jahres herrschte Harmonie. Eben deshalb schien das Feierverbot ein Geschenk des Himmels zu sein, das einen friedlichen Sommer verhieß. Stattdessen wirft Carlo den Grill an. Entsetzlich, diese Lockerungen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: