Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Eiskalte Mangelwirtschaft

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Kühlschränke sind gerade Mangelware. Angebot und Nachfrage stehen in einem Verhältnis zueinander, das der Gesellschaft langfristig nicht gut tun kann

Glosse von René Hofmann

An dieser Stelle heute mal ein ernst gemeinter Rat: Falls Sie einen Kühlschrank haben, passen Sie gut auf ihn auf! Achten Sie auf jedes ungewöhnliche Geräusch! Werden Sie misstrauisch, wenn er gurrt statt surrt! Streicheln Sie die Türen bei jedem Schließen! Und falls er leicht erhöhte Temperatur zeigt: Rufen Sie umgehend einen Kühlschrankheiler, und lassen Sie sich dabei auch von langen Telefonschleifen, hohen Anfahrtspauschalen und horrenden Stundensätzen nicht schrecken! Es ist nämlich so: Kühlschränke sind gerade Mangelware.

Corona, Bauteilemangel, Produktionsengpässe, weil viele Fabriken in Asien länger geschlossen waren. Die Fahrradbranche trifft das auch. Alles schon mal gehört oder gelesen, das Dilemma dann aber tatsächlich an etwas zu erleben, was sonst ganz selbstverständlich da ist, eröffnet noch einmal eine ganz neue Dimension. Der Vorteil am Leben in einer großen Stadt wie München ist ja: Es gibt von vielem vieles. Viele Kinos, viele Theater, viele Kühlschrank-Verkäufer. Doch selbst in den größten Tempeln des Konsums ist die Auswahl gerade kümmerlich. Freistehende Türme gibt es en masse, Geräte zum Verstecken aber muss man mühsam suchen und Fragen nach Ausstattungsdetails sind müßig: Null-Grad-Zone? Flüsterkompressoren? Ja, doch, gibt es. Bei Geräten, die im Internet angeboten werden. Aber der kundige Fachverkäufer kontert derlei mit einem wissenden Lächeln und einem Fingerzeig auf die avisierten Liefertermine: "Demnächst", "In einigen Monaten", "Wenn die Ware bei uns eintrifft", heißt es da. Vage Versprechen sind das, die Gespräche über die Preisgestaltung der wenigen Geräte, die sich tatsächlich im Lager befinden, nicht erleichtern, zumindest aus Käufersicht.

Der Kühlschrankmarkt in dieser Stadt ist dem Miet- und Immobilienmarkt aktuell nicht unähnlich: Angebot und Nachfrage stehen in einem Verhältnis zueinander, das der Gesellschaft langfristig nicht gut tun kann. Gelassen betrachten können das nur Unbeteiligte. Wer einen glücklichen Kühlschrank hat, eine Freizeitbeschäftigung sucht und mal nicht ins Kino oder ins Theater mag, dem sei ein Besuch in der Küchentechnikabteilung großer Elektromärkte empfohlen: Dort lassen sich im Moment Dramen erleben. Mit Garantie.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2021
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