Münchner Momente:Eine letzte Gans

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Da waren wohl die Augen größer als der Magen: Im Tierpark Hellabrunn ist der letzte Mähnenwolf gestorben, auf durchaus tragische Weise

Glosse von Stefan Simon

In Hellabrunn ist der letzte Mähnenwolf gestorben, auf eine durchaus tragische Weise. Ein Wolf ist Chrysocyon brachyurus trotz seines Namens nicht, er gehört zu den Wildhunden, sieht aber aus wie ein Fuchs, der überall ein bisschen zu lang geraten ist, vor allem an den Beinen. Darin liegt die Tragik: "Arken" starb, weil er eine Gans gestohlen hat. Er gab sie danach nicht wieder her, weil Füchse (sogar wenn sie in Wahrheit keine sind) so etwas nie machen würden. "Arken" entdeckte in seinem Gehege eine Graugans, sicherlich zu beider Überraschung. Er jagte sie, er fraß sie auf, dann kam es zum Darmverschluss. Tierärzte stellten das fest, als sie den Kadaver aufschnitten.

Man ist geneigt zu sagen, dass da wohl die Augen größer waren als der Bauch. Ein mahnendes Beispiel, für Kinder und alle, die im Urlaub die Hotelbuffets umlagern. Es steckt sogar viel von einem Märchen in dem Vorfall, von dem der Zoo am Donnerstag berichtete. Die sind ja oft die schaurigste Literatur. War es nicht ein Wolf, dem ebenfalls der Bauch geöffnet wurde, nachdem er Rotkäppchen und seine Großmutter, Hänsel und Gretel, die Gebrüder Grimm und als Dessert Schneewittchen und die sieben Zwerge gefressen hatte? Kein Tierarzt, sondern ein Jäger führte da die Klinge, befreite die zuvor Verspeisten und füllte der Bestie stattdessen Steine in den Bauch. Wenigstens das blieb "Arken" erspart. Doch für Mähnenwolf und Wolf endete die Geschichte auf die gleiche Weise.

Der Tierpark versichert, das alles "hätte so auch in der Natur vorkommen können". Doch wer weiß? In Südamerika haben Mähnenwölfe riesige Reviere, bis zu 60 Quadratkilometer sind sie groß; Hellabrunn misst nicht einmal einen halben. So gesehen war es für "Arken" Glück und Pech zugleich, dass sich mal ein leibhaftiges Beutetier in sein kleines Mähnenwolfgehege an der Isar verirrte. Es bleibt ihm zu wünschen, dass die Gans eine lohnende letzte Mahlzeit war. Was er nicht bedachte: In den Sümpfen und Savannen seiner Heimat werden zwar Mähnenwölfe manchmal als Geflügeldiebe geschossen. In Bayern aber regelt das Geflügel seine Angelegenheiten selbst.

© SZ vom 06.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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