Münchner Momente:Ein ungewöhnlich guter Morgen

Einen fröhlichen Gruß zu erwidern, sollte zum menschlichen Tagesgeschäft gehören. Aber manchmal kann es richtig anstrengend sein

Kolumne von Harald Hordych

Der große Darsteller Walter Matthau wurde in dem Film "Der Glückspilz" jeden Morgen, wenn er sein Anwaltsbüro betrat, von seiner Sekretärin mit einem blumenfrischen "Guten Morgen" begrüßt. Und seine Antwort lautete stets: Noch ist er gut. Solange der Tag noch nicht richtig angefangen hat, gibt es also Hoffnung, ihm mit Zuversicht begegnen zu dürfen. Danach beginnt das Chaos seine Arbeit auf gewohnt gründliche Weise zu verrichten. So betrachtet, ist es gut, möglichst früh mit einem "Guten Morgen" begrüßt zu werden. Auch an der S-Bahn-Station auf dem Weg in die Innenstadt beginnt der Tag, bevor er schlecht werden kann, verlässlich mit einem freundlichen "Guten Morgen", immer von Zeitgenossen, die sich den "Zeugen Jehovas" angeschlossen haben.

Während sie unverdrossen ein Heft in die Höhe halten, das Der Wachtturm heißt, flöten sie einem ihren Gruß entgegen, als würde das glaubensfeste Nicken zur religiösen Grundausstattung gehören. Und weil es ja nicht schaden kann, einen Gruß zu erwidern, grüßt man zurück, ohne dass sich jemals das womöglich erhoffte spontane Missionierungsgespräch daraus entwickelt hätte.

Nun ist seit geraumer Zeit auch noch ein Mann dazugekommen, der um diese Zeit um Almosen bittet. Auch er besteht auf einem freundlichen morgendlichen Gruß. Auch den erwidert man, weil Höflichkeit zum menschlichen Tagesgeschäft gehören sollte, und dann geht man seines Weges, vorbei am dick eingepackten Zeugen-Jehovas-Botschafter und wartet auf die S-Bahn. Dieses morgendliche Ritual wurde nun auf eine schwere Probe gestellt, weil es der Zufall so wollte, dass der Pfad der Gewohnheit an einem Morgen wegen eines Gangs zum Kiosk gleich mehrmals betreten werden musste. So kam es immer wieder aufs Neue zu einem freundlichen Nicken, zu einem freundlichen Gegennicken, zu einem freundlichen "Guten Morgen", zu einem ebenso freundlichen Gegen-"Guten Morgen". Auf dem Hinweg, auf dem Rückweg und auf dem Rückweg vom Rückweg. Und weil eine neue Zeugin ein paar Meter neben dem alten Zeugen stand, waren es am Ende neun "Guten Morgen", die man immer an derselben Stelle wie bei einer Frühgebetskollekte eingesammelt hatte, immer von denselben drei Leuten. Am Ende blieb nur der Gedanke: Was muss das für ein Tag werden!

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