Münchner Momente:Ein Hoch auf die große Schwester

Was tun, wenn der Bruder einen Verweis bekommen hat? In der Schlange vor dem Bäcker finden Geschwister eine kreative Lösung

Kolumne von Stephan Handel

Soll ja niemandem die gute Laune verdorben werden - und klar ist auch, dass den meisten Schülern die jeweiligen Ferien viel zu kurz erscheinen, während die Eltern, gerade die von betreuungsintensiven Kindern, das Ende herbeisehnen. Hilft ja aber so und so nichts: Eine knappe Woche noch, dann beginnt schon der Endspurt, Abitur ist auch bald, eine nervöse Zeit für Große und für Kleine.

Was die Eltern betrifft, so ist zwar leicht zur Gelassenheit geraten, allein sie zu behalten ist schwierig, wenn das Wesen des Hypothesentests wieder und wieder nicht kapiert wird, während andererseits ganze Youtube-Kanäle mit dem größten Schmarrn fehlerfrei rezitiert werden können. Nicht nur die Eltern ziehen übrigens die Zügel an, auch die Lehrer, soweit ihnen das heutzutage noch erlaubt ist. Aber immer wieder, und das ist etwas Tröstliches, finden die Kinder Wege, den Schlingen und Fesseln zu entkommen. Dieser Tage stand an einem Wochenendmorgen ein Geschwisterpaar in der Schlange beim Bäcker - das Mädchen vielleicht so 12, 13 Jahre alt, der Junge zwei bis drei Jahre jünger. Erörtert wurde ein großes Problem: Der Bub hatte in der Schule wegen irgendwas einen Verweis bekommen, nun ging es darum, wie das den Eltern am schonendsten beigebracht werden könnte. Post abfangen? Schon zeitlich unmöglich. Unterschrift fälschen? Zu riskant. Das zu erwartende Donnerwetter tapfer ertragen? Dazu war die Verfehlung wohl zu arg, als dass der Bub sich darauf einlassen wollte.

Die große Schwester, wozu hat man sie denn, fand schließlich die Lösung: Sie war wohl, wie das ja oft so ist, von den beiden Geschwistern die bessere und auch die weniger aufsässige Schülerin. Nun würde sie, so erläuterte sie es ihrem Bruder in der Bäcker-Schlange, ihrerseits einen Verweis provozieren - und das würde die Eltern so aus der Fassung bringen, dass sie darüber den des Bruders glatt vergessen würden. Mit einer Tüte Semmeln und dem guten Gefühl, ein schwieriges Problem gelöst zu haben, trabten die beiden nach Hause. Und bestätigten, die Gelassenheit betreffend, eine Gewissheit: Alles müssen Eltern auch nicht wissen.

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